Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1914

anschließen wird, bringt eine gewaltige Bewegung hervor. Der österreichische Reichs¬ tag ist leider noch bei dem § 1 der Grundrechte. Am 5. Jänner rückte die öster¬ reichische Armee in Pest und Ofen ein. Hier herrschen viele Krankhei¬ ten, und mehrere Hundert Kinder u. Erwachsene blattern. Nach mehrtägigem, schnellen warmen Regen trat am 15. Jänner Hochwas¬ ser ein, und die ungeheure Eismasse etzte die Häuser am Wehrgraben un¬ ter Wasser, sogar beide Wehren ober¬ halb der Steyrbrücke wurden wegge¬ rissen. Im Februar sieht es in der poli¬ tischen Welt ebenso stürmisch aus, in Ungarn wütet der Krieg noch mit vandalischer Grausamkeit und Verwü¬ stung, in Mittelitalien Anarchie und Republik. Am 5. März war hier im Rats¬ saale die Losung der Militär¬ pflichtigen nach dem neuen provi¬ sorischen Rekrutierungssysteme öffentlich; und obwohl man sehr für Aufrechter¬ haltung der Ruhe fürchtete, und an manchen Orten auch arge Erzesse vor¬ fielen, so blieb es hier doch ganz ruhig. Am 7. März kam hier die Esta¬ fette mit der unerwarteten Nachricht von der Aufhebung des übelberüchtigten Reichstages und der vom Kaiser verliehenen neuen Reichsverfas¬ sung für die ganze Monarchie an. Am 18. wurde hierauf auch hier das Konstitutionsfest gefeiert mit Kirchenparade, Zapfenstreich und einem Theater von radikalen Dilettanten, des¬ sen Ertrag für die—zu errichtende deutsche Flotte bestimmt war. Am 21. und 22. war hier die Re¬ krutierung. Das Steyrer Kontin¬ gent betrug 52 Mann, aber es konnten bloß 15 aufgebracht werden. Trotz der großen Furcht vor Krawallen blieb al¬ 121 les ruhig, denn das ultraradikale Ele¬ ment ist jetzt ohnmächtig. Zur Deckung der Rückstände und zu den Bauten bei Adaptierung der neuen Gerichte usw. will die Stadt Steyr 30.000 fl. C.=M. zu leihen neh¬ men, da ein Vergleich von Obligationen der niedrigen Kurse wegen jetzt nicht tunlich ist. Am 20. ging der Krieg gegen Sardinien wieder los und schon am 23. war er durch die Schlacht bei No¬ vara beendet zu Gunsten Oesterreichs. Im Römischen und Toskanischen Republik und Anarchie. In Ungarn geht es uns dagegen schlecht, weil sich die polnische Propa¬ ganda mit den Magyaren verbunden hat; daher zogen zu unserer Hilfe in Siebenbürgen die Russen ein. Her¬ mannstadt ist verwüstet. Im Mai sieht es in politischer Hinsicht ganz verzweifelt aus. Das Kai¬ sertum Oesterreich liegt so zu sagen in furchtbarem Todeskampfe! —Die ver¬ einten Ungarn und Polen nur noch wenige Stunden von Wien entfernt. 100.000 Russen rücken auf verschiedenen Punkten zu unserem Schutze ein, und zum Ueberflusse sind auch die Friedens¬ verhandlungen mit Sardinien wieder ab¬ gebrochen. Ungarn hat sich als selb¬ tändige Republik erklärt; Venedig wird von uns von Land und Meer förmlich belagert, Oesterreicher, Neapo¬ litaner und Franzosen rücken ins Tos¬ kanische und Römische ein, letztere werden vor Rom mit bedeutendem Ver¬ luste zurückgeschlagen. —Und erst in Deutschland?—! Die deutsche Na¬ tionalversammlung in Frankfurt a. M. ist zu einem republikanischen Revolu¬ tions=Konvent herabgesunken, in der bayrischen Pfalz die Republik pro¬ klamiert, in Leipzig und Dresden mehrtägiger blutiger Straßenkampf, in Schleswig=Holstein Krieg gegen Dänemark. In ganz Europa steht die Sache auf der Spitze, —es ist ein großer

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