Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1914

118 Stadt und endliche Besiegung der Tsche¬ chen; auch in Pest eine militärische Re¬ volution; in Triest feindliche Blockade des Hafens; vom 22. bis 26. furcht¬ bare Revolution und Metzelei gegen die Regierung in Paris, 12.000 Tote und Verwundete. Im Juli kommt zu den bereits hier bestehenden radikalen „Zwanglosen Tag¬ blättern“ nun auch ein konservatives „Das freie Wort“. Am 3. Juli nachts ½12 Uhr erleb¬ ten wir auch hier eine der, unter den Wiener Studenten usw. so beliebten, sogenannten Katzenmusiken, welche von etwa 50 unserer Ultraradikalen dem eben auf der Durchreise nach Wien hier angekommenen Steyrer Deputierten E. Vacano vor dem v. Kollerschen Han¬ delshause dargebracht wurde. Die hies. Parteienspaltung erreichte hierdurch den höchsten Grad. In der Nacht vom 23. Juli wie¬ der ein Krawall. Es wurde nämlich in Steyrdorf ein Bauer getroffen, welcher ein geschlachtetes schon häßlich tinkendes Rind herumführte undbei den Fleischern und Würstemachern zu verkaufen suchte. Schnell sammeltensich ein Paar Hundert Menschen, meist aus dem Pöbel. Der Wagen wurde um¬ geworfen, der Bauer geschlagen und im Triumphe mit seinem Wagen auf das Rathaus gebracht. Am 4. Juli war die Wahl des hiesigen Nationalgarde=Ober¬ kommandanten, welche mit unge¬ heurer Mehrheit auf Herrn Franz von Schönthan fiel. Abends wurde ihm von den Offizieren und Repräsentanten aller drei Nationalgarde=Körper eine Serenade mit Fackelzug gebracht, und dann ein heiteres Verbrüderungsfest ge¬ feiert. Am 26., 27., 28. war hier die zweite sehr starke Rekrutierung; am letzten Tage waren es die Steyrer, welche 46 Mann brauchten, aber nur 16 erhielten. Einige Garstner Rekru¬ ten fingen bei und nach dem Schwören Exzesse an und hetzten die versammelten Steyrer auf, sich nicht zu stellen, solange nicht auch die zeitlich Befreiten erschie¬ nen. Diese, welche sich schon früher ver¬ abredet und mit dem Magistratsrate Buberl heftig räsonniert hatten, lie¬ fen hierauf unter heftigem Geschrei auf den Platz herab, wo ein starker Tu¬ mult entstand. Die Kommission wollte chon auseinandergehen, als die ordent¬ lichen und gemäßigten baten, assentiert zu werden. Es erschienen auch nach u. nach wirklich fast alle Rekruten wieder und wurden assentiert, wobei es wie¬ der manches Spektakel gab. Das Getreide ist im August be¬ reits ganz auf den Normalpreis, 5 fl. 3 kr. das Korn, 8 fl. 10 kr. der Wei¬ zen, herabgesunken. Am 6. August ist der Feldmarschall Radetzky, dem die hiesige Bürger¬ schaft einen sehr schönen von Josef Mitter verfertigten und vom Bezirks¬ gerichtsbeamten Altenbürger gra¬ vierten Ehrensäbel zugesendet, nach 14tägigen Scharmützeln und Schlachten wieder in Mailand mit seiner siegreichen Armee, und am 12. der Kaiser wieder in Wien eingezogen. Am 21. August kam vom Feldmar¬ schall Radetzky ein sehr verbindliches Dankschreiben an den Magistrat für sei¬ nen Säbel. Am 20. war ein feierliches Dank¬ amt für die in Italien errungenen Siege und die Rückkehr des Kaisers und am 25. ein Requiem für die in Italien gefallenen österreichischen Krie¬ ger. Den Patrimonal= und Kom¬ munal=Gerichten läutet die To¬ tenglocke; sie haben auch fast keine Macht mehr, und es herrscht ein halb anarchi¬ scher Zustand, der von den Wühlern trefflich ausgebeutet wird, und blos noch in dem allgemeinen gesunden Sinn des Volkes seine Grenze findet. Vom Land¬ volk wird kein Zehent, keine Robott mehr geleistet und alles Wild zusam¬ mengeschossen.

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