Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1914

116 ganzen Landes den ganzen Sommer und Herbst Tag und Nacht gearbeitet haben, so ist trotzdem sehr große Not an —.— Fassern, und Krautfässer und Adel¬ fässer sind mit Most angefüllt. Wenn man selbst ein Faß zum Bauern bringt, kann man sich den Eimer des besten Aepfelmostes um einen Zwan¬ ziger holen. Am letzten Wochen¬ markte, den 30. Dezember, kostete der Weizen 14 fl. 54 kr., Korn 10 fl. 8 kr., Gerste 6 fl. 19 kr., Haser 3 fl. 28 kr. Das Jahr 1247 war ein sehr trau¬ riges, der Winter war sehr lang und treng, Frühling und Sommer, mit Ausnahme des Mai und August, durch¬ aus naß. Der Fruchtbarkeit nach war das Jahr in Getreide ein gutes Mitteljahr, in Kartoffeln schlecht, im Obste aber vorzüglich Kirschen und Aepfeln außer¬ ordentlich reichlich. Die Arbeitsstockung hier und die Teuerung der Lebensmit¬ tel war seit 1817 nie so groß und erst in den letzten Märkten des Dezem¬ ber trat ein entschiedenes Fallen des Getreides ein. Allgemeine Verar¬ mung des hiesigen Gewerbestan¬ des war die traurige Folge. 1343. Wurde beim Beginne des verflos¬ senen Jahres der Segen des Allgütigen angerufen, so ist jetzt die Huld des Himmels um so mehr zu erflehen, weil das verflossene Jahr ein wahres Hun¬ gerjahr war. Dazu scheint der euro¬ päische Friede überhaupt auf recht festen Füßen nicht zu stehen, denn Frank¬ reich und England sind seit den spa¬ nischen Heiraten entzweit, in der Schweiz ist der Bürgerkrieg, und in Italien droht er auf allen Seiten, denn Pius IX., welcher die liberale Bewegung be¬ gonnen hat, wird den Strom schwer¬ lich mehr zu dämmen vermögen. Die Stimmung gegen die Oesterreicher ist in ganz Italien leidenschaftlich gereizt, besonders in der Lombardei, wo es schon bedeutende Unordnungen gegeben hat; daher die dortige österreichische Ar¬ mee auf den Kriegsfuß gesetzt wird. Im Jänner fortwährend von al¬ len Seiten starke Truppenmärsche nach Italien, wo die Armee auf über 100.000 Mann gebracht wird. Am 10. Jänner begann hier in Nr. 505 in Aichet die Ausschrottung von Pferdfleisch. In Italien sieht es sehr schlecht aus; in Sizi¬ lien sind die königlichen Truppen auf¬ gerieben, die Insel will sich unabhängig erklären, die Herrscher von Neapel, Toskana und Sardinien haben ihren aufgeregten Völkern Konstitutio¬ nen mit Volksrepräsentation verliehen und die furchtbar gährenden lombar¬ disch=venet. Provinzen träumen ebenfalls von Unabhängigkeit. Auch in unserem friedlichen Oesterreich lehnen sich im Windischgarstner= und Ennstale die armen Bauern gegen die uner¬ schwinglichen herrschaftlichen Zehenten u. Dienste auf und mehrere Kompagnien Militär sind bereits von Linz und Graz einmarschiert. In politischer Hinsicht die 2 allertraurigsten Aussichten; denn zu der immer wachsenden Aufregung in Ita¬ lien, wo in der Lombardei am 22. Februar das Standrecht publiziert wor¬ den, kam jetzt noch obendrein wie ein Donnerschlag aus heiterem Himmel aus Paris die Hiobspost, daß nach drei¬ tägigem Straßenkampfe am 24. Februar der König Ludwig Philipp, nach¬ dem er vergeblich zu Gunsten seines Enkels der Regierung entsagen gewollt, die Flucht ergriffen habe, und daß dar¬ auf die Republik für ganz Frank¬ reich proklamiert worden sei. Ungeheu¬ rer Freiheitsschwindel mit vielfachen Er¬ zessen in ganz Deutschland war die unmittelbare nächste Folge, aber auch der einmütige Ruf zum festen Zusam¬ menhalten der deutschen Völker gegen jeden äußeren Feind. Auch in Oesterreich, vorzüglich in Wien, erreichte die drückende Ge¬

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