Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1914

Als wir im Vorjahr über die Erreichung des Südpols durch den Norweger Roald Amundsen berichteten, haben wir auch der zeitlich mit dieser Expedition im großen und ganzen zusammenfallenden Südpol¬ expedition des Engländers Robert Falcon Scott gedacht und dabei einerseits die Tat¬ sache konstatieren müssen, daß Scott den Südpol jedenfalls nicht vor Amundsen er¬ reicht haben könne und daß authentische Nachrichten über das endliche Schicksal der Scottschen Expedition erst für Ende März 1913 in Aussicht stehen. Und nun ist dieses endliche Schicksal bekannt: es bedeutet einen Triumph und zugleich eine Tragödie des menschlichen Forscherdranges. Denn auch Scott hat, und zwar am 18. Jänner 1912, den Südpol unter unsäglichen Mühen er¬ reicht, aber er kann nicht, wie Amundsen, elbst mit tönendem Worte von seinem Siege berichten, denn er ist, nahe einem rettenden Nahrungsmitteldepot auf dem unter entsetzlichen Mühen und Schrecknissen angetretenen und verfolgten Rückwege vom Pol mit seinen letzten Gefährten gegen den 29. März 1912 vom unbarmherzigen Tode ereilt worden. Er fiel, von Kälte und Ent¬ behrungen erdrückt, als Held der Wissen¬ schaft, und nur sein Tagebuch konnte der Menschheit Kunde geben von seinem Triumphe wie von seinen Leiden und Todesqualen! Scotts und seiner letzten Begleiter Leichen wurden am 10. November 1912 von dem Schiffsarzte des Expeditions¬ schiffes „Terra Nova“ Dr. Atkinson gefunden. * * * Wir haben in den letzten Jahren stets getreu aller der Männer gedacht, die im Kampfe um die Eroberung der Luft ihr Leben gelassen haben; heuer gebricht uns der Raum, unsere traurige und doch so stolze Chronik fortzusetzen, denn zu groß ist die Zahl der Gefallenen auf dem Felde der aviatischen Ehre geworden. Nicht weni¬ ger als 76 Katastrophen der Aviatik zählt diesmal unsere Liste, und dabei darf nicht vergessen werden, daß die wenigsten dieser Todesstürze nurein Opfer forderten, und daß unserer Aufmerksamkeit denn doch noch die Meldung von dem einen oder anderen 83 Todessturz entgangen sein kann. Nur eines Mannes möchten wir hier doch ausdrücklich gedenken, der zwar nicht auf dem Felde der aviatischen Ehre fiel, der aber ein Großer unter den Bezwingern der Luft war und dessen Tod schon wegen der eigenartigen Umstände, unter denen er erfolgte, allge¬ meine Teilnahme erregen mußte. Es ist Hubert Latham, einer der Kühnsten unter den Helden der Lüfte. Er wurde im Juli 1912 auf einer Jagd in den Urwäldern des französischen Kongo von einem wilden Büffel — gespießt. Ehe wir das Gebiet der Aviatik und Aeronautik verlassen, sei noch einiger inter¬ essanter Ereignisse gedacht, welche in unsere Sagle Graf Zeppelin. Berichtsperiode fallen. Am 25. Jänner 1913 überflog der Aviatiker Bielovucic mit einem Henriot=Eindecker den Simplon; er stieg von Brig, respektive Brigerberg nach 11 Uhr vormittags auf und um 12 Uhr 25 Min. nachmittags landete er heil in Domodossola, genau an der Stelle, wo am 23. September 1910 sein Vorgän¬ ger Geo Chavez nach Überfliegung des Simplon stürzte und sein kühnes Wagnis mit dem Leben bezahlen mußte. Am 9. Juni 1913 erfüllte Graf Zeppelin sein Versprechen, Wien mit einem seiner Luft¬ schiffe zu besuchen. Er startete am genann¬ ten Tage um 5 Uhr 30 Min. früh mit seinem Luftschiffe „Sachsen“ in Baden¬ 6*

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2