Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1914

82 ten ihm und wohl auch den Franzosen das Leben sauer. Über den italienisch=türkischen Krieg um Tripolis und die Cyre¬ naika sagten wir in unserem letzten Bericht: „Heute, da wir dies schreiben, hat Italien wohl Tripolis und die Cyre¬ naika annektiert, aber noch immer nur zum geringsten Teile okkupiert.“ Inzwischen hat wohl die Türkei, die nicht in der Lage war, die notwendigen Truppennachschübe in das asrikanische Kampfgebiet zu werfen, obwohl sie einen neuen, am 18./19. Juli 1912 versuchten Angriff der italienischen Tor¬ pedoflottille auf die in den Dardanellen verankerte türkische Flotte erfolglos zu machen wußte, sich entschlossen, den Kampf um ihr gutes Recht, um Tripolis und die Cyrenaika, aufzugeben, um so mehr, als schwere innere Konflikte und Aufstände sie unterwühlt und kriegerische Ereignisse mit den Balkanstaaten drohten, und daraufhin mit Italien einen Frieden geschlossen, dessen Präliminarien am 15. Oktober 1912 in Ouchy unterzeichnet wurden, die dann am 18. Oktober 1912 zum „Frieden von Lausanne“ wurden. Nach diesem Friedens¬ vertrag gelangten die Italiener auf dem Umwege über eine vom Sultan Tripolis und der Cyrenaika erteilten Autonomie in den rechtlichen souveränen Besitz dieser Länder, während der Sultan für einige Jahre religiöse Rechte und insbesondere auch das Recht behielt, einen Vertreter zur Wahrung der türkischen Interessen in dem abgetretenen Gebiete zu bestellen. Von den Italieniern im Agäischen Meere wäh¬ rend des Krieges besetzte Inseln sollten als Pfand für die Erfüllung der von den Tür¬ ken übernommenen Verpflichtungen vor¬ läufig in den Händen der Italiener blei¬ ben. Es ist dies eine Bestimmung des Lausanner Friedensvertrages, die leicht zu einem Konflikt zwischen Italien und der Türkei einerseits und den diese Inseln für sich beanspruchenden Griechen führen kann. Der Frieden von Lausanne hat aber an der faktischen Situation in Tripolis und der Cyrenaika nicht viel geändert und wir können hier unsere oben zitierten Worte ruhig in die Variante reproduzieren: „Heute, da wir dies schreiben, hat wohl Italien durch den Frieden von Lausanne die rechtliche Souveränität über Tripolis und die Cyrenaika erlangt, aber okkupiert hat es dieselben noch immer nur zum ge¬ ringsten Teile.“ Die Angliederung Tripolis und der Cyrenaika an Italien hatte übri¬ gens bereits im Juni 1912 zur Schaffung eines italienischen Kolonienministeriums geführt. In Asien war China wiederholt der Schauplatz blutiger kriegerischer Ereig¬ nisse zwischen den Truppen der offiziellen Regierung und jenen der Rebellen — Nord und Süd standen und stehen sich eigentlich noch jetzt fortwährend in Wehr und Waf¬ fen gegenüber. In Amerika flammte speziell in Mexiko der blutige Geist des Krieges mächtig auf; hier sollte sich die Tat Fran¬ cesco Maderos, der Porfirio Diaz, den Mann, dessen Energie und große Fähig¬ keiten das Land in jeder Beziehung ge¬ hoben hatten, zur Demission gezwungen hatte, an dem Täter selbst im wahren Sinne des Wortes blutig rächen. Im Herbst 1911 vom Kongreß zum definitiven Prä¬ identen der Republik erhoben, sah er sich bald Prätendenten und sonstigen Gegnern darunter später auch einem Neffen Por¬ firio Diaz', General Felix Diaz — gegen¬ über, die ihn an der Spitze rebellischer Truppen in offenen Feldschlachten be¬ kämpften. Und schließlich, wie ein edles Wild von allen Seiten gehetzt, von seinen letzten Getreuen verlassen, blutige Straßen¬ kämpfe vor Augen, wurde Madero am 18. Februar 1913 im Nationalpalast von den anrückenden Rebellentruppen unter General Blanquet gefangen genommen ein Schicksal, das auch seinem Bruder Gustavo Madero wiederfuhr — und nach¬ dem letzterer am 19. Februar kriegsrecht¬ lich erschossen worden war, am 23. Februar bei seiner Überführung ins Zuchthaus von Anhängern des neuen provisorischen Prä¬ sidenten General Victoriano Huerta er¬ mordet. * * *

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