74 nämlich von der Türkei: administrative Autonomie der Provinzen, belgische oder chweizerische Generalgouverneure, gewählte Provinzialversammlungen, regionale Gen¬ darmerie und Miliz sowie Unterrichtsfrei¬ heit. Die Anwendung dieser Reformen sollte einem in gleicher Zahl aus Christen und Muselmanen zusammengesetzten Ober¬ sten Rat anvertraut werden unter Über¬ wachung durch die Botschafter der Gro߬ mächte und die Gesandten der vier Balkan¬ staaten in Konstantinopel. Die Pforte wurde aufgefordert, zu erklären, daß sie diese Forderungen annehme, wobei sie sich verpflichten sollte, die in der Note und in einer derselben angeschlossenen erläuternden Notiz enthaltenen Reformen binnen sechs Monaten durchzuführen und als Beweis ihrer Zustimmung das Mobilisierungsdekret zurückzuziehen. Daß die Pforte die in dieser Note enthaltenen Zumutungen nicht liqui¬ dieren werde, war — wie gesagt — von vornherein zweifellos und so begannen denn bereits am 14. Oktober die Vorspiele zum Kriege mit verschiedenen Überschreitungen der Grenze durch türkische Truppen und solche der Balkanstaaten. Inzwischen war von Frankreich der Vor¬ schlag zu einer Konferenz der Großmächte zur Beratung und Ordnung der Balkan¬ angelegenheiten ausgegangen, aus welcher Anregung sich dann später die Londoner herauskristallisieren Botschafterreunion sollte. Unbekümmert um diese Anregung, ging aber das Unheil am Balkan seine Wege. Am 15. Oktober beschloß der türki¬ che Ministerrat die Ablehnung der in der Note der Balkanstaaten aufgestellten For¬ derungen und zugleich die Abberufung der türkischen Gesandten aus Athen, Belgrad und Sofia. Nun folgten die Kriegserklä¬ rungen Serbiens, Bulgariens und Griechen¬ lands und der 17. Oktober 1912 darf als der Tag des eigentlichen Beginnes des Balkankrieges im großen Stile bezeichnet werden, der in seiner ersten Phase ziemlich rasch zu Ende ging. Es besteht kein Zwei¬ fel, und die später zutage gekommenen Verträge zwischen den Balkanbundstaaten über die Teilung einer eventuellen Land¬ beute bestätigen es, daß als ursprüngliches Beuteobjekt eigentlich Mazedonien auser¬ sehen war, und daß erst die raschen und ihnen wohl selbst unerwarteten militäri¬ schen Erfolge der Balkanstaaten deren Ap¬ petit steigerten, während die auch von tür¬ kischer Seite aufgenommene Offensive und die Gefahr, den Kriegsschauplatz auf das eigene Territorium verlegt zu sehen, die umfassendere Balkanstaaten zwangen, Kriegsoperationen ins Auge zu fassen Nachdem Montenegro vorzüglich Ansprüche auf Teile des nördlichen Albanien und ins¬ besondere Skutari geltend machte und in¬ folgedessen auch dort vorwärts ging, drang Bulgarien in Mazedonien und dann in Thracien ein, Serbien aber durch das Sandschak Novibazar respektive Mazedo¬ nien zum Adriatischen Meere vor, während Griechenland seinen Blick einerseits auf die Inseln und Küsten des Agäischen Meeres mit dem mazedonischen Saloniki, anderseits auf Landschaften des südlichen Albanien, Janina und Teile des türkischen Thessalien richtete. So entstand ein kombinierter An¬ griff gegen die Türkei, dem sie nicht stand¬ zuhalten vermochte, und dem sie schneller unterlag als selbst in militärischen Kreisen erwartet wurde, welche gleich der Laien¬ welt die Widerstandskraft der osmanischen Truppen überschätzt hatten. Freilich darf nicht vergessen werden, daß auf der Seite der Balkanstaaten gut disziplinierte, für ihre Sache begeisterte und auch wohlver¬ proviantierte Truppen standen, während die türkische Armee durch die Einstellung christlicher Elemente und die Spaltung in ihrem Offizierskorps im Innersten derou¬ tiert war, und zudem durch die Folgen einer schlechten Organisierung des militäri¬ schen Dienstes und einer ganz elenden Ver¬ proviantierung sowie wegen Munitions¬ mangel sich in einer weit ungünstigeren Situation befand. Wohl gab es auch in diesem Kriege Bei¬ spiele alttürkischer Unerschrockenheit, Tap¬ ferkeit und Ausdauer — wir verweisen wiederholt auf die heldenmütige Verteidi¬ gung vor Janina, Adrianopel und Skutari, auf die glänzenden Rückzugsgefechte nach der verlorenen Schlacht bei Lüle Burgas usw. — aber schließlich führten alle grö¬
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