Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1914

60 sprang er auf und dem am Walde vorbeiführenden Wege zu, auf wel¬ chem ein Wagen von zwei scheugewor¬ denen, feurigen Pferden mehr geris¬ en als gezogen wurde. Das war etwas für den Riesen! Ein Griff, ein gewaltiger Druck, und zitternd standen die gebändigten Tiere. Der herbeigeeilte Jurist half unter¬ dessen drei Damen, einer älteren und zwei jüngeren, aus dem Landauer, die zitternd und bebend nun da¬ standen. Nun kam auch an der Stirne heftig blutend der herabgeschleuderte Kut¬ scher herangehinkt, den zunächst der Mediziner in Behandlung nahm, nachdem er die Pferde beruhigt und angebunden hatte. Die Damen, Tante und Nichten, Witwe Landgerichtsrat Walter er¬ stere und letztere, gleichen Namens, Töchter eines verstorbenen Profes¬ sors, entschlossen sich, den weiten Weg zur Stadt zu Fuß zurückzulegen, nachdem der Kutscher erklärt hatte, für Pferde und Wagen sorgen zu können. „Die Biester können sich immer noch nicht an die Teufelsdroschken ge¬ wöhnen!“ sagte er sich so in seiner derben Art entschuldigend. Damit meinte er die Automobile, vor deren einem, das vorbeigerast, die Pferde scheu geworden waren. Die Begleitung der jungen Herren wurde dankbar angenommen und dem Riesen für seine Tat besonderer Dank gespendet, den er aber nicht an¬ nahm. „Selbstredend, weiß Pferde zu be¬ handeln!“ war alles, was er sagte. Sie mußten sich am folgenden Tage nach dem Befinden der Damen erkun¬ digen, und bald entwickelte sich ein intimer Verkehr, der zu einem ver¬ wandschaftlichen Verhältnisse führte, denn nach bestandenem Examen verlobten sich die Freunde mit den beiden schönen Schwestern. Bei diesen herrschte übrigens ein ähnliches Ver¬ hältnis, denn die eine war groß und chlank, eine königliche Gestalt, die andere klein und zierlich wie eine Elfe. „So ist das Gleichmaß dochge¬ wahrt!“ bemerkte fein lächelnd der Jurist, der Bräutigam der Kleinen. „Ja, aber unser Glück verdanken wir nur meinem Vortrag über den Sonntagszauber!“

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