Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1914

50 fühlen können. Dazu kam dann eine für ihre Verhältnisse geräumige Woh¬ nung, in welcher sie sich ganz anders ausdehnen konnten. Sechs Zimmer und Küche nebst Speicher und Keller, fast doppelt so viel Räume wie früher! In dem etwa um¬ Quadratmeter vierhundert fassenden Garten beschäftigte sich nun der Vater täglich auf alle mögliche Art. Wiewohl er stets Interesse für die Natur gehabt, so hatte er seiner genügen Vorliebe nur dadurch können, daß er auf jedem Spazier¬ gang einen Strauß der lieblichen Kinder Floras zusammenstellte, den er mit nach Hause brachte, um sich noch tagelang an seinem Anblick zu erfreuen. Nun aber hatte er ein Ver¬ suchsfeld, da konnte er sich betätigen. Die überaus praktisch angelegt gewe¬ sene Tante hatte nicht viel Raum für Blumen übrig gehabt, außer einigen Veilchen und etwas Goldlack nur einen kümmerlichen, wild verwach¬ enen Rosenstrauch der gewöhnlich¬ sten Sorte, der in seiner Ecke nur ge duldet worden war. „Das muß bei uns anders wer¬ den,“ sagte Herr Quirin beim Ein¬ zug, „wir müssen Rosen und auch andere Blumen wie Nelken, Pfingst¬ Adonis, Hyazinthen usw. rosen, haben!“ Und es wurde anders, obschon der nunmehrige Besitzer nur mit sehr ge¬ ringen Mitteln arbeiten konnte. In letzterer Hinsicht macht sich selten einer einen nur annähernd richtigen Begriff von dem in einem solchen Haushalt ein= und durchgeführten Sparsystem. Was in einem einiger¬ maßen guten Haushalt kaum einen Gedanken auslöst, wird in einem der¬ artigen fast Ereignis. Wie lange mußte Herr Quirin warten, bis es ihm gelang, sich einen eisernen Rechen zuzulegen neben dem von ihm so oft geflickten hölzernen! Da mag gewiß mancher denken, daß so ein paar Pfennige doch keine Rolle spie¬ len, welche Annahme in solchem Fall aber durchaus irrtümlich ist. Wenn einer den im Anfang der Vierziger stehenden sehr stattlichen Herrn mit dem Holzrechen zwischen den Sträu¬ chern herumarbeiten gesehen hätte der würde wohl den Kopf geschüttelt „Weshalb gedacht haben: und nimmt der denn nicht seinen eisernen, mit welchem die Arbeit doch ungleich besser und leichter vonstatten ginge?“ Ja, warum kann es der Reichere oft nicht recht begreifen, weshalb sich der Armere überall plagen muß, wo¬ bei dieser oft viel zufriedener ist wie jener? So ähnlich war es mit allem. Herr Quirin, der sehr viel Verständ¬ nis und eine geschickte Hand besaß, besserte das meiste am Hause selbst einzusetzen, Fensterscheiben 40 12 aus. ganze Räume zu tapezieren usw., das machte ihm keine Mühe. Diese Tätigkeit war ihm aber Be¬ dürfnis, da er sich in seinem Alter gewiß nicht der absoluten Ruhe hin¬ geben wollte, die man ihm in amt¬ licher Hinsicht zugeschoben hatte. Da¬ bei hatte auch die Bitterkeit über seine frühe Versetzung in den Ruhe¬ stand nicht so Gelegenheit, ihn un¬ terzukriegen. Aber alle Mühe wäre vergeblich gewesen, wenn Frau Quirin nicht ein Genie in der Haushaltsführung gewesen wäre. Ein Genie? Ja¬ wohl, gewiß! Sie hatte allerdings auf ein Kochbuch, in dem es immer nur heißt „Man nimmt!“, ohne zu verraten, wovon, von vornherein verzichtet. Ihre Rezepte hatte sie alle im Kopfe, und die gründeten sich auf praktische Erfahrung, die allemal die beste Lehrmeisterin gewesen ist und bleiben wird. Wie wußte sie alles auszunützen, daß auch die geringsten Reste ihre geeignete Verwendung fanden! Bei dem Hause befand sich ein unbenützer Stall, bei dessen An¬ blick der unternehmungslustige Herr Quirin sofort, einen Gedanken faßte, den er nur aus Not nicht sofort aus¬ führen konnte. „Aufgeschoben ist

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2