Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1914

dernisse genug zu finden. Oder hat es einer der freundlichen Leser schon ein¬ mal erlebt, daß auch nur eine Num¬ mer einer Zeitung wegen Beurlau¬ bung des Redakteurs oder anderer Angestellten nicht erschienen wäre? Das kommt wohl gar nicht vor. So kam Erich nicht nach Hause, obschon er sehr an den Seinen hing. Freilich er hatte allein acht Stunden mit der Bahn zu fahren, so daß ein kurzer Besuch gar nicht in Frage kommen konnte. Übrigens hatte er Aussicht, nach Abschluß seiner Studien in seiner Vaterstadt anzukommen, wie ihm sein Vater schrieb. Er betrieb seine Studien mit Feuereifer, und der allein er¬ reicht Großes. Zudem war Erich ge¬ rade in den ihm passenden Beruf ein¬ getreten, wo er seine Fähigkeiten am besten anwenden konnte. Keine Tätig¬ keit war ihm zu viel, ob es sich um Korrekturen oder Propaganda usw. handelte, er war stets zur Aushilfe bereit. Bald konnte er auch die Erstlinge seiner Muse in die Welt schicken, indem ein Band Jugenderzählungen gern angenommen und verlegt wurden. Die Kritik fiel wider Erwarten des jungen Verfassers gut aus. Er hatte elber gar nicht so viel davon gehalten, im Gegenteil geglaubt, daß seine Er¬ zählungen vielleicht noch eben als So gangbare Ware mitgehen könnten. ist es überhaupt mit sehr vielen 1 Schriftstellern, denen nur der liebe Neid Einbildung anheften möchte. So legt z. B. einer auf Wunsch eine Aus¬ wahlsendung vor, der er die eine oder andere Arbeit beifügt, von der er elbst nichts oder nur sehr wenig hält. Hinterher muß er es zu seinem Er¬ staunen erleben, daß gerade diese Ar¬ beit als die beste vorgezogen und über den grünen Klee gelobt wird. So sandte z. B. Erich, der nun auch in Versen und Reimen arbeitete, ein¬ mal fünf humoristische Bilderbücher 45 ein, unter denen eines ihm gar nicht gefallen wollte, da dessen einzelne Bilder ihm ganz ohne Zusammen¬ hang zu sein schienen. „Unmöglich!“ murmelte er beim Einpacken, „das Ding muß ich weg¬ lassen!“ Dabei öffnete er aber nach¬ her doch das Päckchen wieder und ügte es bei. Und was war die Folge? Eben dieses war die Veranlassung, daß der Verleger ihm schrieb, gerade solche könne er gut gebrauchen, er sei gern bereit, bei so guten Arbeiten einen höheren Zeilensatz zu bezahlen usw. „Jaquun à son goüt!“sagte Erich und strich schmunzelnd die vom Briefträger gebrachten Goldfüchse ein. Bald wurde er regelmäßiger Mit¬ arbeiter an verschiedenen Blättern, die zuweilen gar bei ihm anfragten, ob er nicht in bestimmter Frist die und die Arbeit liefern könne. Und Erich war imstande dazu. Was ge¬ wöhnlich erst nach längerer Übung möglich wird, nämlich Arbeiten in bestelltem Umfange, z. B. 100, 200 300 Druckzeilen usw., das hatte er als junger Mensch schon los. Er versah auch schon die Geschäfte eines Hilfsredakteurs und konnte alle anderen vertreten, da ex in allem Be¬ scheid wußte, was gar nicht zu ver¬ wundern war, da er alles zu verstehen uchte. Auch bezog er nun schon ein ganz ansehnliches Gehalt, so daß er immer gut gekleidet gehen konnte. „Flott und fleißig!“ Das Urteil hörte man immer häufiger, und es war berechtigt. Flott wollte er sein und glaubte es sein zu müssen seines Berufes wegen, und damit hatte er nicht unrecht. Was muß nicht alles ein findiger Berichterstatter für Ge¬ legenheiten wahrnehmen, wohin muß er nicht gehen! Es war ihm sogar nicht zu viel, in verrufene Gassen und elende Kneipen sich zu wagen, wenn es darauf ankam, einmal wieder trau¬ rige sittliche Zustände zu beleuchten.

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