Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1914

40 „Ich haben Ihnen längst ver¬ geben! Wenn man glücklich ist, wie ich es mit meinem seligen Mann war, da vergibt und vergißt man so man¬ ches, was in der Vergangenheit ge¬ chehen. Sie meinen also, daß ich Ihren Namen hörte, als ich das er¬ so fuhr? Ja, ich hörte es doch nur nebenbei von ihren Kollegen und keiner bezeichnete Sie mit einem an¬ deren Namen. Nun sah sie ihn schweigend an, forschend — wie hatte er sich seit da¬ mals verändert! Aber auch sie mußte sich stark verändert haben, daß er sie nicht mehr erkannte! Wie lange mochte es nun schon her sein? O, damals war sie ein siebzehnjähriges Mädchen gewesen, und jetzt? Ver¬ altet, verblüht, mit einer erwach¬ senen Tochter! O, und jetzt sah sie auch den Abstand zwischen Eva und er war so alt und Eva so Zänder jung! Und das Herz der Frau, das diesem Manne einmal zu eigen ge¬ wesen, empörte sich, machte es ihr un¬ möglich, die Tochter an ihre Stelle treten zu lassen. Julius Zander aber kam es jetzt vor, als liege eine Welt zwischen ihm und Eva. Er, der alte Mann, dies wie junge Blut an sich fesselnd lächerlich, daß er daran hatte denken können! Jäh unterbricht seinen Gedanken¬ gang Frau Werner, indem sie auf G steht und sagt: „Sie kommen mir zu lange nicht, die jungen Leute, ich muß doch nachsehen!“ „Und wir, Frau Werner, wir wol¬ 7 len Freunde bleiben, nicht wahr? Sie drücken sich die Hände, und dann schaut er ihr lächelnd nach, wie sie hinausgeht, er errät es, was sie tun will. Als nach wenigen Minuten wieder alle vier um den Tisch sitzen, sagt Frau Werner: „Lieber Herr Zänder, meine Tochter hat sich vorhin mit meiner Einwilligung mit Paul ver¬ lobt — Sie dürfen gratulieren! Paul wendet sich freundlich zu dem Werkmeister. „Ja, und ich lade Sie im voraus zur Hochzeit übers Jahr ein, denn verlassen werden Sie uns wohl bis dahin nicht?“ „Ich denke nicht“, versetzt Zänder, und nun wünscht er den Verlobten das beste Glück. Spät in der Nacht, als er in seinem Salon drüben ist, steht er lange am Fenster, das er geöffnet hat, und schaut hinaus auf die lustig wirbelnden Flocken. „Das ist mein Hochzeitsreigen!“ flüstert er. „Ich bleibe ferner wie bisher dein Eigen¬ tum, Vittoria! Drüben auf dem Stadtturme schlägt es Mitternacht Das alte Jahr zu Ende — ein neues beginnt!

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