38 Da fährt er fort: „Freilich, auf das großstädtische Leben und Trei¬ ben, das ich seit langem gewöhnt war, kam es mir anfangs vor, als sei es mir unmöglich, hier länger zu bleiben. Jetzt habe ich mich aber schon eingelebt und befinde mich ganz wohl hier.“ „Sie denken also für gewiß, län¬ gere Zeit hier zu bleiben?“ fragt Eva mit ihrer melodischen, etwas tiefen Stimme. „Mehr als dies, Fräulein Eva, ich glaube, daß ich mir hier ein Heim gründen werde. Aber ich weiß noch nicht, ob meine Wünsche hiezu nicht allzu vermessen sind.“ Er sieht dabei mit leidenschaftlichem Blick in Evas Antlitz. Eva wendet sich rasch ab und blickt nach der Türe, die eben geöffnet wird. Ein großer, schlank gebauter, junger Mann mit energischen Gesichtszügen, milden, blauen Augen und hell¬ braunem Haar tritt ein, und Eva eilt mit freudig leuchtenden Augen auf ihn zu. „Grüß dich Gott, Paul! Du hast lange auf dich warten lassen!“ sagt sie und reicht ihm die Hand, die er leise und zärtlich drückt. „Ja, ich konnte leider nicht früher kommen“ erwiderte er dann. „Als ich schon zum Hiehergehen bereit war, wurde ich zu einem Kranken geholt. Das hielt mich so lange auf.“ Dabei geht er zum Tisch und begrüßt nun die Tante mit herzlichem Händedruck, Herrn Zänder, den er schon einige¬ male gesehen, mit ein paar höflichen Worten. Dann setzt er sich an die Seite Evas, und diese beeilt sich, ihm eine Tasse Tee und Semmelschnitten und Bäckereien zu reichen. Unterdessen hat das Dienstmäd¬ chen, das hinter Paul Werner ein¬ getreten, im Kamin nachgelegt und entfernt sich nun wieder. „Es ist doch sehr angenehm,“ sagt Paul jetzt mit frohem Blick, „wenn man im warmen Zimmer bei Tee und Kuchen sitzen kann, anstatt draußen in der Kälte herumlaufen zu müssen.“ „O, du Kuchenmann!“ neckte Eva lachend und schiebt ihm ein Stück Kuchen in den etwas großen Mund, in dem feste, blanke Zähne leuchten. Sie müssen wohl sehr oft diese “ fragt Annehmlichkeit entbehren? Julius Zänder und sieht dabei un¬ behaglich auf das Gebaren Evas. „Und in Regen und Schnee ohne Widerrede hinauslaufen!“ Paul zuckt die Achseln. „Es ist eben mein Beruf, und jeder Stand hat seine Unannehmlichkeiten, die man nicht meiden kann. „Wenn man Liebe zu seinem Be¬ ruf hat, macht es wohl auch weiter nichts aus“, erwidert der Werk¬ meister. „Ich meinesteils möchte kein Arzt sein — mein Vater war es! Ich hatte einzig und allein zu dem, was ich geworden bin, Freude. Mein Papa aber wollte höher hinaus mit mir und ich habe daher lange um seine. Einwilligung kämpfen müssen. Indes ich erzwang mir meine Sache mit dem Starrsinn der Jugend, die stets nach ihrem Kopfe handeln will. Eva wendet mit Interesse ihren Blick dem Werkmeister zu. „Ich hätte Sie damals sehen mögen“, sagt sie und denkt sich dabei, wie er denn da wohl ausgesehen haben möge. „Wünschen Sie dies wirklich, mein Fräulein?“ Ich könnte Ihren Wunsch erfüllen, indem ich Ihnen Photo¬ graphien aus jener Zeit zeige. Wenn Sie dieselben sehen wollen, hole ich sie herüber.“ „Aber damit würde ich Sie doch sehr belästigen, mein Herr! „Nicht im geringsten! Es macht mir nur ein Vergnugen!“ Herr Zän¬ der geht und kommt nach wenigen Augenblicken mit einem großen Al¬
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2