36 Stumm und still sitzt Julius Zän¬ der eine Weile, mit fest zusammen¬ gepreßten Lippen, dann kommt ihm auf einmal der Gedanke: Ist das wieder nur Flackerfeuer, was ihn zu dem jungen schönen Geschöpf drüben in der anderen Wohnung, zu Eva Werner, hinzieht? Die große Schwarzwälderuhr tut drei Schläge und der stille Traumer wird lebendig, er springt auf. „Schon dreiviertel, um sieben Uhr soll ich fertig sein!“ Nun eine geraume Viertelstunde in eilfertiger Hast, dann steht Herr Zän¬ der in tadelloser Toilette vor dem Spiegel, ordnet noch die Krawatte über dem blütenweißen Hemd, fährt mit dem Kamm noch einmal durch die Haare, die gelichteten Stellen besser verdeckend — nun ist er fertig. Die mittelgroße, schon etwas die Schlankheit verlierende, aber doch noch schöne Gestalt sieht in dem feinen Gesellschaftsanzug vornehm und elegant aus. Das längliche Ge¬ sicht, das ohne Spur von Röte ist, ist interessant durch die dunklen, geist¬ reichen Augen, aber es verrät den Lebemann durch die abgespannten Züge, den dunklen Schatten unter den Augen und den zahllosen, fast unmerklich kleinen Fältchen, die vom Alter noch nicht berechtigt waren. Julius Zänder wirft einen Blick auf die Uhr, faßt mit der weißen, wohlgepflegten Hand, an deren Fin¬ gern ein Siegelring und ein Topas blitzt, nach der Lampe und geht da¬ mit ins Vorzimmer. Da stellt er sie auf das kleine, neben der Türe be¬ findliche Tischchen, löscht sie aus und begibt sich dann hinüber zu Frau Werner, die auf der anderen Seite des Flurs wohnt. Ein rosiger Lichtschein erfullt den Salon, als Herr Zänder in denselben tritt. Im Kamin brennt das Feuer den Raum behaglich durchwärmend, auf dem Tische surrt die kleine, blanke Teemaschine, und das Lam¬ penlicht, das ein Rosaschirm dämpft, beleuchtet das chinesische Porzellan¬ service, das davon mattrosa aussieht, und das Silberfiligrankörbchen mit der feinen Bäckerei, die Teller mit Semmelschnitten, mit Wildhachee be¬ strichen, und die goldgelben, auf einem grünen, wie ein Weinlaub aus¬ sehenden Tellerchen liegenden Oran¬ gen. Es sieht alles so zierlich geord¬ net aus. umfaßt mit Der Eingetretene einem Blicke all dies auf dem Tische. Dann sieht er die kleine, behäbige Frau Werner vom Diwan aufsprin¬ gen und auf sich zueilen, mit einem Er herzlichen Willkommensgruß. beugt sich über ihre dargereichte kleine 4 Hand und küßt sie. Hierauf tritt er „ zu dem hohen, schlanken Madchen das in der Nähe des Tisches steht und leicht die Hand auf einen Fauteuil stützt. Lange blonde Zöpfe “ hängen dem Madchen weit über die Taille herab und heben sich hell von dem roten Kleide ab. Julius Zänder küßt die schmalen, langgliedrigen Finger, die sich ihm zögernd entgegenstrecken. Als er die Hand wieder sinken läßt, gleitet sein Blick über die lieblichen Züge der vor ihm Stehenden und taucht dann tief hinab in die dunkelblauen Sterne, tumm fragend und dabei leiden¬ chaftlich beredt. Eine tiefe Röte breitet sich über das süße Mädchen¬ gesicht und befangen senken sich die Lider. Liebt sie ihn? Wohl nicht, denn in der nächsten Sekunde schlägt sie die Augen wieder auf — eine Frage voll Stolz, Verwunderung, Befremden, kühlen Abweisens spricht sich darin aus Er mag sie interessieren, seine Erscheinung momentan ihre Gedan¬ ken beherrschen, aber Liebe hat sie nicht für ihn. Frau Werner bittet den Gast, Platz zu nehmen, schiebt ihm rasch einen
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