Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1914

Toilette schreitet. Er weiß, daß es ihm nicht gut läßt, wenn er ermüdet, erkältet aussieht, da ist seine Blässe ins grünlichblaue spielend — und er ist sehr eitel! Besonders heute will er gefallen! Einer jungen, hübschen Dame! Ob er es wird? Bei diesem Gedanken legt Julius Zänder den Kopf an die hohe Lehne des Stuhles zurück und ein siegreiches Lächeln tritt dabei auf seine Lippen. Sie haben noch ein schönes Rot, diese feingeschwungenen Lippen, aber man ieht es ihnen doch an, daß sie — viel geküßt haben! Warum sollte er ihr nicht gefallen? Ihr, Eva Werner? Er hat dochso vielen gefallen, er hat so viele ge¬ liebt, die eine mehr, die andere weni¬ ger! Wenn er sie alle aufzählen wollte! Einige — ja! Alle Un¬ möglich! Die Letzte war die hoch gewachsene, schon etwas verblühende, aber noch immer fesselnde Regine Keller gewesen, vorher die üppige, lustige Mary, dann die schlanke, blonde Edith; noch wußte er zwei kontrastierende Annchen, schwarz und blond, eine Laura, das schwarze kokette Kätchen und— o, auch eine Eva war in dem Reigen! Aber zu ihr mußte er weit, weit zurückgreifen, zurück in seine letzten Studienjahre. Damals hatte er Eva kennen gelernt, die Tochter eines Professors, eine kleine, pikante Brünette. War sie nicht seine erste Liebe ge¬ wesen, die schelmische, braunlockige Eva mit den blitzenden, schalkhaften Rehaugen? Seine erste Liebe Warum war sie nicht auch die letzte? O, was war das weiter gewesen, wie ein einziger Tag im Mai seines Le¬ bens —! Er hatte sie auf der Straße kennen gelernt, durch einen Kollegen der niedlichen Professorstochter vor¬ gestellt. Dann erwartete er sie alle Tage, wenn sie nachmittags aus der Klavierstunde kam, brachte ihr ein 35 hübsches Blumensträußchen und be¬ gleitete sie ein Stück Weges. Wann er das erstemal Liebesworte sprach wann er den ersten Kuß mit ihr wechselte, wann alles zu Ende war er wußte das alles nicht mehr so —er wußte nur, daß er eines genau Tages die Schwester eines Kollegen kennen gelernt, ein bezauberndes Kind des Südens, dunkel, glutäugig, glutatmend — und daß dieses ihn gefangen nahm, ihn berauschte, welt¬ vergessen machte. An Eva dachte er nicht mehr. Und als er sah, daß die schöne Vittoria nur mit ihm gespielt hatte, da ging es unaufhaltsam fort im rasenden Wirbel — nur vergessen, sie verlachen können, ihr zeigen können, daß sie ihm ein Nichts war! Zuerst die eine, dann die andere, die er umschmeichelt mit süßen Wor¬ ten, belogen, betrogen! Er belog und betrog diese und belog und betrog sich elbst dabei. Sie gefielen ihm wohl, aber nichts weiter— er liebte keine wahr, aber er redete es sich doch jedesmal ein, voll Zorn, voll Liebe für die eine:— Vittoria. Ja, jetzt wußte es der Mann, der da am flackernden Kaminfeuer aß und starren Auges zur Decke empor¬ schaute, als erblicke er dort die längst entschwundenen Bilder anstatt der gemalten, bunten Blumengirlanden: er hatte nur die eine geliebt, wahr, leidenschaftlich und immer, trotz des Flackerfeuers, das so oft in seinem Herzen entbrannt war. Julius Zänder hebt den Kopfund ieht hinab auf das Kaminfeuer, das seinen flackernden Schein auf den Teppich hinwirft. Die Formender großen roten Rosen verschwimmen ins Undeutliche, laufen manchmal ins Groteske, dort aber, wo die Lampe mit dem milden, ruhigen Schein hin¬ trahlt, sind sie wie lebensfrisch, wie eben gepflückt und auf den Teppich hingestreut. 32

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