Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1914

32 großer, zottiger Hund, der durch die Hecke geschlüpft war, fuhr so grimmig auf ihn los, daß er ihn kaum mit sei¬ nem starken Stock von sich abhalten konnte. Doch ein scharfer Pfiff, der das Echo an dem nahen Berge wach¬ rief, brachte den Wächter des Besitz¬ tums augenblicklich zur Ruhe, und gleich darauf kam ein großer Mann im Arbeitsanzuge heran, der die Mütze ziehend um Entschuldigung bat und dann hinzufügte: „Haben Sie ich das Haus einmal ansehen wollen? „Ja, ich stand schon eine Weile hier, da könnt's mir gefallen!“ „O, Haus und Gut sind zu haben und gar nicht teuer. Doch kommen Sie einmal herein, ich zeige es Ihnen!“ Er hatte den Zusatz zwar nur in Gedanken laut werden lassen, aber mochte es drum sein, das Anse¬ hen verpflichtete ja nicht zum Kaufen. Aber was er sah, überstieg seine Er¬ wartungen und Vermutungen. Das war ein Buen Retiro in des Wortes wahrster Bedeutung, vor allen Din¬ gen herrschte hier die größte Ruhe, die wohl nur von dem Sang der Vöge¬ lein in Garten, Feld und Wald und ab und zu von Hundegebell unterbro¬ chen wurde. Der Verwalter Schmidt, wie er sich vorstellte, lud ihn zum Sitzen ein und erzählte ihm, daß der vor Besitzer, Herr von Altenheim, kurzem auf die Idee gekommen ei, zum Verkaufe zu schreiten, um eine Weltreise antreten zu können. Er sei Offizier gewesen, aber vor zwei Jah¬ ren mit dem Pferde gestürzt und als dienstuntauglich ausgeschieden. Nun er sich in dieser köstlichen Umgebung anscheinend gänzlich erholt habe wolle er, wie gesagt, auf Reisen ge¬ hen. Er habe das Gut schon unter der Hand zu verkaufen gesucht, aber kei¬ nen Kaufer gefunden, und nun sei er heute in die Stadt gegangen, um es zur Versteigerung ausschreiben zu lassen. „Er wird wohl nichts dagegen ha¬ ben, wenn ich Ihnen auch seine drei Zimmer zeige!“ sagte er schließlich und führte seinen so wie durch Zufall in das Haus geschneiten Gast in die ge¬ nannten Raume hinten heraus nach dem Walde zu, und erstaunt blieb Herr Amlinger stehen und blickte um¬ her. Das war's ja gerade, was er suchte, eine Veranda nach dem Walde zu, von welchem herrlicher Duft herein¬ strömte, vermischt mit solchem aus dem sich bis zum Rande des Waldes hinziehenden Garten. „Sagen Sie Herrn von Altenheim, er moge vor¬ äufig noch nichts unternehmen, ich käme morgen wieder, um mit ihm zu verhandeln!“ Damit verabschiedete er sich von dem freundlichen Verwalter und ging langsam zur Stadt zurück, wobei der Entschluß immer festere Gestalt in ihm annahm, das ihm schon so sehr ge¬ fallende Besitztum käuflich zu erwer¬ ben. Noch am Vormittag hatte er wie bisher überhaupt nicht, gar nicht mit einem Gedanken daran gedacht, Haus¬ und Grundbesitzer zu werden. Und nun wurde er es doch, denn am anderen Tage wurde er Besitzer des schönen Gutes, auf das er allerdings eine Hypothek des bisherigen Besitzers annehmen mußte. War der biedere Verwalter Schmidt mit dem bisheri¬ gen Besitzer zufrieden gewesen, so war er dies in noch höherem Maße mit dem neuen Herrn. 60

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2