Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1914

26 Trotz seiner Abneigung gegen alles Hundevieh —der Steuer wegen? kaufte Herr Schütte sich am anderen — Tage einen vierbeinigen Wächter. 77 „Pfui, welch ein häßliches Tier rief Lissi aus, als sie den struppigen, unsauberen Köter sah, den der halb¬ wüchsige Bengel des Hundezüchters Pirenisch an einer alten Leine in den Flur zerrte. I „Häßlich?!“ Herr Schütte knurrte es und runzelte die Stirn. „Schön ist er, der Hund. — Sogar sehr schön. Lissi senkte betrübt den Kopf und schritt davon. Nein, mit dem Vater war in letzter Zeit auch gar nicht mehr umzugehen. Die Erde war doch ein rechtes Jammertal. Nichts als Kummer und Herzeleid. Ja, wenn es nicht die stille Geißblattlaube gäbe, in der man sich so recht von Herzen mit Kurt Altenhoff aussprechen konnte, dann wäre es besser, man wäre gar nicht auf dieser traurigen, herzlosen Welt. Ja, ja, diese stille, heimliche Laube, die sie jetzt so gern hatte. Und Lissis Züge hellten sich ein wenig auf * Die altertümliche Säulenuhr im Herrenstübchen des bescheidenen Gast¬ hauses, der sich aber stolz „Kaiser¬ hof“ nannte, begann zu schnarren Doktor Brückel blickte auf das Zif¬ ferblatt und zitierte: „Die Mitternacht zog näher schon, In stummer Ruh' lag Babylon. „Na, Herr Schütte,“ wendete er sich an seinen Nachbar, „geh'n wir heim?“ Der nickte zustimmend und meinte: „Für uns alte Knaben wirds halt Zeit. Sie brachen auf. Als sie durch die 1 Tur schritten, streifte Herr Schütte mit einem flüchtigen, halben Blick den pensionierten Steuerrat Alten¬ hoff, den Vater des Chemikers Alten¬ hoff. Den Gruß, den ihm der Steuer¬ rat zunickte, ließ er unerwidert. Er konnte es dem nicht verzeihen, daß er im Gemeinderat seit einiger Zeit sein Gegner war. Der Doktor und der Rentner durch¬ chritten plaudernd die dunklen, aber wohlbekannten Straßen. Am Markt¬ platz trennten sich ihre Wege. Ein freundlicher Händedruck, und: „Gute Nacht, Herr Schütte. „Gute Nacht, Herr Doktor; kom¬ men Sie gut heim.“ „Danke, gleichfalls, Herr Schütte.“ Jeder ging in einer anderen Rich¬ tung davon. Und bald hatte sie die Dunkelheit aufgenommen. Rentner Schütte überquerte den Fahrdamm der Weberstraße und bog nach dem Nikolausplatze hinüber, an dem die mächtige, uralte Kirche lag, von der der Platz seinen Namen hatte. Die tiefe Dunkelheit, die ihm ent¬ gegengähnte, wurde durch das spär¬ liche, matte Licht der einsamen La¬ terne inmitten des Platzes nur noch unangenehmer. Mit der Beleuchtung wars wirklich schlecht bestellt. Das war ihm wohl deshalb nicht so auf¬ gefallen, weil er früher stets in Ge¬ sellschaft des Staatsrates heimgegan¬ gen war. Vorsichtig, Schritt vor Schritt, ging er weiter. Wie leicht konnte man im Finstern einen Fehltritt tun. Und wenn jemand in böser Absicht auf einen zutrat, dann konnte man nicht einmal rechtzeitig ausweichen Nicht einmal die Züge des anderen waren dann zu erkennen. Er hatte ja keinen Feind, aber.... Sein Sinnen wurde gewaltsam unterbrochen. * Löste sich da nicht ein Schatten von der massigen Mauer der Nikolauskirche? Schnell wollt: Herr Schütte vorübereilen, doch er taumelte entsetzt zurück, denn jählings fühlte er sich an Brust und Schulter gepackt. Vor sich gewahrte er die sche¬ menhaften Umrisse eines Menschen, dessen Hand leicht tastend über seine rechte Seite fuhr. Ein leises, stimm¬ loses Kichern. Eine Sekunde später

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2