Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1914

Herr v. Mareno streckte sich im Schlafzimmer auf einem Fauteuil, ein Glas Bier und die letzten Brötchen vor sich, und sah gemächlich dem emsi¬ gen Herumarbeiten der beiden zu. Frau v. Mareno hatte eine große Hängeschürze über ihr hübsches pfau¬ blaues Reformkleid gezogen; im Nu mit ein paar oft geübten Handgriffen verwandelte sich der lässigweiche Tep¬ pichdiwan in ein behaglich breites Bett für Oskar. Die Rauchgarnitur 4 25 ward in die Ecke verbannt, und bald bedeutete das hübsche Herrenzimmer wieder nichts als eine angenehme Jungenbude, die es ja in Wirklichkeit auch war. So löste sich unter den Händen von Herrin und Mädel manches Rätsel, über das die heimkehrenden Damen sich just zur selben Zeit die Köpfe zer¬ brachen. In dieser hübschen, eleganten Wohnung diente fast alles der täg¬ lichen Notwendigkeit und nur durch C 6 3 eine ganz geniale Berechnung gewan¬ nen die Gegenstände doppelte Bedeu¬ tung und Nutzbarkeit. Frau v. Ma¬ reno war tatsächlich, trotz ihres elf¬ jährigen Jungens, eine reizende Frau. Ein zierliches Figürchen und eine mattweiße Hautfarbe gaben ihr etwas Mädchenhaftes, das vielleicht über¬ haupt in ihrem innersten Wesen lag, auf das die Jahre keinen Einfluß neh¬ men konnten. Wirklich schön aber waren die großen Augen von seltener Senen — Farbe, Türkise, die ganz grün gewor¬ den sind; wie helle Steine lagen sie auf dem weißen Grunde und waren umrahmt von tiefschwarzen Wimpern und Brauen, und die Wimpern ver¬ längerte noch ein tiefer, dunkler Schatten in dem elfenbeinfarbigen Ton des Gesichtes. Übrigens war sie weder eine Ko¬ kette noch eine große Künstlerin, nur eine starke Energie und eine unge wöhnliche Arbeitskraft ohne den Ehr¬ 1*

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