Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1913

1845 In der ganzen Welt ist alles fried¬ lich, alle Völker streben in industrieller Entwicklung empor; so auch in Oester¬ reich, wo nur die ungarische Opposi¬ tionspartei sehr unliebsame Sprünge macht; die Staatseisenbahnen von Wien nach Prag und Triest sind im Vor¬ schreiten, und die nach Oberösterreich, welche der Sage nach Steyr berühren oll, in nächster Aussicht. In Steyr elbst gibt es natürlich nichts vom Be¬ lange. Vom 26. bis 28. Februar fanden große Bürgerversammlungen äuf dem Rathause zur Ausschußwahl we¬ gen Beratung des am 8. März 1841 im Kassenamte gestohlenen Geldes per 3000 fl. K.=M. statt. Am 21., 22. und 23. April war die Rekrutierung; das Steyrer Kon¬ tingent betrug 25 Mann zur Linie und 1 Mann zur aktiven Landwehr. Am Pfingstsonntag den 10. Mai, nachmittags ums 3 Uhr, war ein so hef¬ tiges und bei völliger Windstille durch eine ganze Stunde anhaltendes Gewitter, wie es hier seit vielen Jahren nicht erlebt worden ist. Die haselnußgroßen Schloßen schlugen Laub und Blüten von den Bäumen und ver¬ wandelten das herrlichste Frühlingsgrün der Bäume, Wiesen und Felder in win¬ terliche Flur. Der Blitz schlug in die Kirche zu Christkindl trotz des Blitz¬ ableiters, beschädigte etwas das Mauer¬ werk und den linken Seitenaltar, schlug weiters in noch mehreren Orten der Umgebung ein; auf besonders auffal¬ lende Art aber in das Frischsche Gasthaus „zur weißen Krone“ in Ennsdorf, vernichtete den großen Doppelrauchfang ganz bis in den Grund, chlug eine Dachseite ein, zersplitterte Dachsparren und richtete in fünf Zim¬ mern des 1. unteren Stockes, im oberen Vorhause, der Küche und an den Haupt¬ mauern an allen Seiten dieses großen Hauses gräßliche und wahrhaft unglaub¬ liche Verheerungen an. Zwei Töchter 103 des Hauses wurden betäubt und das in einem Zimmer des oberen Stockes ent¬ tandene Feuer sogleich gelöscht. Am 17. Mai reiste der Erzher¬ zog Albrecht, kommandierender Ge¬ neral in Oesterreich, hier durch. Am 10. Juli wurde der Dachstuhl der neuen Kuppel des Bruderhaus¬ turmes, welcher bei dem großen Brande am 3. Mai 1842 abgebrannt war, aufgeschlagen und am 11., um 5 Uhr sollte das kupferne, schöne ver¬ goldete Kreuz aufgesetzt werden; allein da man magistratlicher Seits vergessen hatte, die Geistlichkeit zur Einweihung einzuladen und dies erst unmittelbar vor der Aufsetzung mündlich geschah, so gab das eine sehr komische Szene. Am Montag den 14. um 10 Uhr erfolgte endlich nach vorher von dem Herrn Kanonikus und Dechant Josef Plersch in der Bruderhauskirche abge¬ haltener Segenmesse und Einweihung des Kreuzes dessen feierliche Auf¬ setzung. Gegen Ende des Monats Oktober erreichten die Getreidepreise den höchsten Stand. Am 30. Oktober kostete der Weizen 11 fl. 57 kr., das Korn 10 fl. 45 kr., die Gerste 7 fl. 26 kr., der Hafer 3 fl. 31 kr. und so stiegen auch alle übrigen Lebensmittel. Im De¬ zember begannen die Getreidepreise et¬ was zu sinken und es stellt sich nun heraus, daß größtenteils der Wucher an der Teuerung Schuld ist. 1846 In ganz Europa ist alles ruhig; überall nichts als Eisenbahnbau. ten und industrielle Großspre¬ cherei wobei jedoch Arbeit und Ver¬ dienst immer schlechter werden. Gegen Ende Februar brach in Galizien und Krakau eine Revolution der pol¬ nischen Nation aus, welche von dem Adel angezettelt war. In Polen wurde selbe vor dem Ausbruche unterdrückt, in Galizien ist das Landvolk auf Seite der Regierung.

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