Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1913

zosen, welche in dem von ihnen besetzten Fez im April 1912 bald eine Bartholo¬ mäusnacht erlebt hätten und nicht viel fehlte und Marokko hätte den Anlaß zu europäischen Konflagrationen gegeben. Die Art, wie Frankreich seine Polizeigewalt — angeblich zum Schutze des Sultans gebrauchte, und die auch zu vorerst noch diplomatischen Konflikten mit Spanien das ebenfalls gerne Polizei in Marokko spielen wollte, geführt hat, konnte Deutsch¬ land nicht behagen. Es entsandte Kriegs¬ schiffe nach Agadir und bald war der diplo¬ matische Konflikt mit Frankreich fertig aus dem auch England, im Trüben fischend, gerne Nutzen gezogen hätte. Schließlich kam aber doch zwischen Frank¬ reich und Deutschland ein, dann auch vom Sultan von Marokko anerkanntes Überein¬ kommen zustande, durch welches Deutsch¬ land de facto das französische, später durch einen Vertrag zwischen Frankreich und dem Sultan von Marokko sanktionierte Protek¬ torat über Marokko — mit Ausnahme der spanischen Einflußsphäre — anerkannte und dafür von Frankreich territoriale Kompen sationen am Kongo erhielt. Asten. Persien. Persien war im Laufe der Berichtsperiode beinahe stets im Zustande zumindest teilweiser Anarchie und Ru߬ land wie England suchten daraus nach Möglichkeit Nutzen zu ziehen. Damit nicht genug, drohte Persien auch eine neue Thronrevolte. Am 18. Juli 1911 landete nämlich der Ex=Schah Muhamed Ali Mirza bei Komeschtepe am Kaspischen Meere in der Nähe von Astrabad, um, offenbar von Rußland unterstützt und auf den Mut seiner Anhänger bauend, die ihm zuerst in großen Massen zuströmten, den Versuch zu machen, wieder auf den Thron zu gelangen. Er drang mit bewaffneten Scharen gegen Teheran vor, doch ver¬ mochte er nicht, sein Ziel zu erreichen; teils von seinen Anhängern wieder ver¬ lassen, teils von den Truppen der persischen Regierung geschlagen, mußte er schließlick seine Unternehmung wieder aufgeben und neuerdings ins Exil wandern. 93 Japan. Am 21. März 1912 brach im Stadtviertel Joshiwara zu Tokio ein Großfeuer aus, das sich infolge des Windes sehr schnell ausbreitete. Mehr als 700 Häuser und viele Warenhäuser fielen dabei den Flammen zum Opfer. Der im Nordosten Tokios gelegene Bezirk Joshi¬ wara gehört zu den interessantesten der japanischen Hauptstadt. Bunte Wimpel und Lampions schmücken die kleinen, nach dem gleichen Stil errichteten, aus Holz gefügten Häuser, in denen sich nachts nicht nur die Lebewelt Tokios, sondern auch die Fremden, alle jene einfinden, welche die Stätten der Vergnügungen, die Musik¬ und Teehäuser, besuchen wollen. In den nur aus Holz errichteten Häusern findet stets ein entfachter Brand reiche Nahrung und so wird fast stets ein Feuer in Joshi¬ wara zu einer großen Brandkatastrophe. Indien. Am 11. Dezember 1911 wurde König Georg V. von England in Delhi, der Residenz der alten Großmogule wohin der Sitz der Regierung des indi¬ schen Reiches von Kalkutta verlegt werden wird, unter großen Festlichkeiten formell zum Kaiser von Indien proklamiert Amerika Wie in den früheren Berichtsperioden spielten sich auch in der gegenwärtigen in verschiedenen der mehr oder weniger inter¬ essanten Republiken Zentral= und Süd¬ amerikas allerhand revolutionäre Bewe¬ gungen ab, auch gab es zwischen mehreren dieser Staaten kriegerische und andere Kon¬ flikte — sie haben aber zumeist für die Welt¬ geschichte keine besondere Bedeutung. Einzig von Interesse ist wohl auch diesmal die Entwicklung der Dinge in Mexiko, woselbst am Schlusse unserer vorjährigen Berichts¬ periode der Minister des Außern de la Barra als provisorischer Präsident im Einvernehmen mit dem Führer der Auf¬ ständischen Francesco Madero die Füh¬ rung des Landes übernahm. Diese Lösung gab aber dem Lande noch keineswegs die Ruhe und den Frieden. Zunächst wurde wohl Madero im Herbste 1911 vom Kongreß zum definitiven Präsidenten der Republik gewählt, aber der Geister, die

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