Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1913

64 Er nahm das Geld, während sich die Dame erhob. „Und wann könnte ich den zweiten Stein haben?“ „Ich bitte jedenfalls um etwas Zeit. Solche Steine sind nicht im Handumdrehen herbeizuschaffen. „Und wann beiläufig? „Etwa in vier Wochen könnte ich einen Bescheid sagen, ob ein ähnlicher Stein zur Zeit überhaupt erhältlich ist. Ich werde keine Mühe scheuen, Ihren Wunsch zu erfüllen. „Das ist schön. Ich verlasse morgen Paris, bin aber in etwa vier Wochen wieder auf der Durchreise hier. Sie können mich dann mit dem Stein im Grand Hotel aufsuchen. Gräfin Rochelotte. Die Gräfin grüßte mit einem an¬ mutigen Neigen des Kopfes, verließ den Laden und fuhr mit dem Be¬ gleiter in dem Auto davon. Der Juwelier rieb sich die Hände. Er überzählte nochmals die schönen Banknoten und lächelte sehr ver¬ gnügt. Er hatte ein gutes Geschäft gemacht und es winkte ihm ein noch besseres. Leider, leider... die letztere Hoff¬ nung schien sich nicht erfüllen zu wollen. Ob er auch nach allen Seiten hin um einen grünen Brillanten von achtzehn bis neunzehn Karat schrieb und telegraphierte, ein Juwel dieser Art war augenblicklich nirgends zu finden. Die Brüder Mezières waren nun recht mißvergnügt, da ihnen der versprochene Gewinn entgehen sollte Da, in der Mitte der vierten Woche, erschien bei ihnen ein Herr, der sich als Brillantenhändler aus Amsterdam vorstellte und ihnen be¬ sonders schöne Steine zeigen wollte. Sie ließen ihn seinen Kram aus¬ packen. Sie trauten kaum ihren Augen, als sie da unter anderen far¬ bigen Diamanten plötzlich einen herr¬ lichen grünen Stein erblickten. Er sah dem verkauften ähnlich, wie ein Ei dem andern. „Nur, ein wenig zu hell ist er, murmelte der jüngere Bruder. „Wie schwer?“ fragte der ältere. „Achtzehn ein drittel Karat. „Etwas zu schwer,“ murmelte der jüngere Mezières „Und der Preis? „Hunderttausend Francs.“ „Hoho!“ riefen beide Brüder gleich¬ zeitig. Dann begann ein langwieriges Feilschen. Der Holländer schien auch ein geriebener Junge zu sein, aber er war einer gegen zwei. Nach einer Stunde waren beide Brüder heiser, aber sie hatten den Stein um fünf¬ undsiebzigtausend Francs erstanden. Leider, leider... auch dieses Ver¬ gnügen währte nicht lange. Nach Monatsfrist traf die Gräsin Rochelotte nicht ein. „Vornehme Damen sind niemals pünktlich,“ sagte der jüngere Mezières. Täglich ging ein anderer der Brüder in das Grand Hotel, um bekümmert heimzukehren. Die Gräfin Rochelotte kam nicht. Kam überhaupt nicht. Und langsam dämmerte den ge¬ witzten Herren die Einsicht auf, daß sie ihren eigenen Stein um fünfund¬ zwanzigtausend Francs teurer zurück¬ gekauft hatten. Die verjubelte jetzt wahrscheinlich die sogenannte Gräfin Rochelotte, der Himmel weiß wo. Die Brüder Mezières können ihren Verlust nicht leicht verschmerzen. Hauptsächlich, weil sie dabei auf den Leim gegangen waren, wie rechte Gimpel. Sie müssen sehr gute Geschäfte gemacht haben, wenn sie im diskreten Freundeskreise die Geschichte zum Besten geben sollen. 628.

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