sie den Zeitpunkt je vergäße. Das Datum stand unvergeßlich in ihr fest¬ gebrannt. An einem Frühlingssonntag war's gewesen, drei Jahre zurück, da hatte der neue Arzt im Hause des Land¬ richters Burkhardt Antrittsvisite ge¬ macht und sie hatte mit ihrem sonnigen Lächeln zwischen Vater und Mutter gesessen. Und um eine einzige Stunde später, da war das geschehen, was ihr das Lächeln auf ewig aus der Seele gerissen hatte. Schonend hatten sie es ihr bei¬ bringen sollen, daß in Ostafrika der Leutnant von der Schutztruppe, Heinz Mengers, meuchlings ermordet wor¬ den war. Doch das Telegramm, das für den Vater bestimmt gewesen, war in die Hände der jungen Braut ge¬ raten, die sehnsuchtsvoll der Rückkehr des Geliebten harrte. Mit eigenen Augen hatte sie's gelesen, was in grausamer Kürze die Depesche meldete. Wie sie's ertragen hatte? Sie war nicht dran gestorben. Es stirbt sich nicht so schnell mit zwanzig Jahren, selbst wenn das Herz in tausend Stücke bricht. „Sie ist ja noch so jung, sie wird's allmählich verwinden“, hatten die Eltern, hatten all die guten Freunde gemeint, die mit ihrem teilnahms¬ vollen Getröstenwollen nicht kargten. Diese Trostversuche, denen sie sich doch nicht immer entziehen konnte, das war das Argste gewesen! Ver¬ stand's denn keiner, was ihre stummen Lippen, was ihre verzweiflungsvollen Blicke schrien: Nur nicht davon reden schweigen — schweigen! Doch — einer schien's zu verstehen Franz Landolf, der junge Arzt. Kein Wort des Beileids war aus seinem Munde gekommen; seine Augen ahen sie nicht mit aufdringlichem Bedauern an und als die Mutter ihn einmal befragt, was denn nur zu tun sei, um wieder etwas frischeren Lebens¬ hauch auf das wie erstorbene Gesicht sie der Tochter zu bringen, da hatte 59 von der Nebenstube her gehört, wie er geantwortet: „Nur sie gewähren lassen und nicht sich an sie drängen. Sie hatte ihm Dank gewußt für das Wort und hatte fernerhin vor ihm nicht ganz die menschenflüchtige Scheu gezeigt, die sie anderen gegen¬ über empfand. Oft kreuzten sich ihre Wege nicht. Am dritten Orte erschien sie nicht, ging nur selten durch's Städtchen und ast nie ins Freie hinaus. Nur ein¬ mal, an einem Frühlingsmorgen, da das Furchtbare zum erstenmal sich jährte, war sie in aller Frühe aus dem Haus gehetzt, den Berg hinauf, zur alten Schloßruine, wo sie seit Kinderzeiten her im Lenz die Veilchen gepflückt. Sie blühten wieder. Der ganze Burggraben war blau davon sie und auf die blauen Blüten hatte in sich niedergeworfen und hatte die duftdurchwehte sonnenflimmernde Frühlingspracht ihr wildes Herzeleid Eines hineingeschluchzt, geschrien. Jahres Zeit hatte nichts daran ge¬ wandelt und gemildert. Wie zerbrochen hob sie sich endlich wieder vom Boden empor, tastete, nach einem Halt suchend, mit der Hand seitwärts in das blühende Gebüsch und griff in scharfe Dornen hinein. Als sie die blutigen Spuren sah, die die spitzen Stacheln ihr in die weißen Finger gerissen, weiteten ihre Augen sich in starrem Grausen. — sie sah Blut — rinnendes Blut es allüberall — blutrote Wunden, von tierischen Wilden geschlagen, die in grausamer Gier ihr Opfer zer¬ fleischten Weit von sich hielt sie die Hand gestreckt, an der die dunklen Tropfen hervorquollen. Das Entsetzen schüttelte sie von Kopf zu Fuß. Da war hinter dem zerbröckelten Mauerbogen Franz Landolf hervor¬ getreten, hatte mit seinen beiden Händen ihre ausgestreckte Rechte ge¬ faßt und sagte fast heiteren Tones,
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