Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1913

Nach einigen Sekunden angestrengsten Nachdenkens glitt es wie Erleuchtung über die martialischen Züge. „Es ist unmöglich, daß Herr Ober leutnant jetzt noch auswendig lernen, wer Socken und wer Fußlappen 7 trägt — „Ja, Feldwebel, das ist allerdings unmöglich,“ stöhnte Herr von Rödel. „Mein Kopf ist absolut voll. Was ich nun noch hineinbringen wollte, würde mir aus den Ohren wieder rauslaufen. Meine einzige Hoffnung ist, daß der General auf die Fußbekleidung nicht mehr zurückkommt.“ „Sollte das aber doch geschehen, so wollen Herr Oberleutnant nur aufs Geratewohl antworten. „Was soll ich? Sie werden mir doch nicht krank am Besichtigungs¬ tage „Herr Oberleutnant können sich auf mich verlassen. Der allgemeine Eindruck des Regi¬ ments, die Übungen und der Parade¬ marsch hatten den General recht befriedigt Er hatte das unverhohlen zum Ausdruck gebracht. Aber das Offizierskorps fühlte sich dadurch noch nicht erleichtert. Es war bekannt, daß das dicke Ende nachkam — in Gestalt von allerhand ausgefallenen Wissen¬ schaften, die er bei den Herren voraus¬ etzte. Insonderheit bei den Kompagnie¬ chefs, die bezüglich ihrer Leute alles und noch einiges darüberwissen mußten. Und dieses dicke Ende kam. Der Häuptling von der Vierten schnitt spottschlecht ab, weil er nicht angeben konnte, wie viel Geld der dritte Mann vom rechten Flügel augenblicklich in seinem Brustbeutel hatte. Der von der Ersten bekam gehörig eins auf den Schädel, weil er keine Ahnung hatte, wie viel Prozent seiner Leute mit Erfolg geimpft waren. „Herr Hauptmann Krenz! Ahso¬ pardon. Ist ja erkrankt. Schade 98 57 sehr schade. Hätte an den Herrn Haupt¬ mann gerne eine Frage gerichtet, die er mir das letztemal auffälligerweise nicht hat beantworten können. Wie lange führen Sie die Kompagnie, Herr Oberleutnant von Rödel: 7 „Seit drei Wochen, Herr General. „Das ist nicht lange. Um so mehr würde ich mich freuen, wenn Sie mir sagen könnten, ob der fünfte Mann vom rechten Flügel des zweiten Gliedes 7 Socken oder Fußlappen trägt Der Oberleutnant fühlte sein Herz in der Gegend der Strecksehne des linken Kniegelenks schlagen. Seine strapazierten Sinne verwirrten sich und daher wußte er nicht genau, ob irgend ein anderer oder gar er selbst die Frechheit hatte, zu antworten: „Socken, Herr General. „Sehr gut, sehr gut, Herr Ober 77 leutnant. Sind Sie dessen sicher? „Absolut sicher.“ Oberleutnant von Rödel hielt seinen Degen bereit, um sich ihn durch den Leib zu rennen, wenn der General den Schwindel feststellte. Aber es geschah nichts dergleichen. Das Antlitz des Generals strahlte in väterlicher Milde und Güte. „Sehen Sie, meine Herren Haupt¬ leute, das nenne ich Interesse und eindringliche Kenntnis der Kompagnie Ich beglückwünsche Sie, Herr Ober leutnant, und die Belohnung für Ihre Aufmerksamkeit und Sorgfalt wird nicht ausbleiben. Nachdem Oberleutnant von Rödel seine Kompagnie nach Hause geführt hatte, winkte er seinen Feldwebel bei Seite. Indem er sich noch einige späte Tropfen Angstschweiß von der Stirn wischte, seufzte er tief aus: wenn „Sagen Sie mal bloß 77 der General hätte nachsehen lassen „Dann hätte der Betreffende den rechten Stiefel ausgezogen. Die Kerls hatten alle auf dem rechten Fuß Socken 77 und auf dem linken Fußlappen ...

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