Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1913

sinnigen Ernst in den schönen Zügen mit der Weichheit und Sanftmut in ihrem Wesen, hätte er Isa nicht geliebt, die Neigung zu ihr war täglich ge wachsen; er liebte sie. Bei Maria war noch eine Ursache ihrer Veränderung, von der die Drei nichts wußten und ahnten. Ob sie ihren Vetter, den vom Vater für sie bestimmten Gatten liebte, sie hatte nie danach gefragt, nie dar¬ über nachgedacht. Jetzt, wo sie mit ihren klugen Augen längst die geheime Neigung bemerkt und beobachtet, die die beiden für einander hatten, fiel es ihr auf einmal wie Schuppen von den Augen; sie fühlte, daß ihr Gustav durchaus nicht gleichgültig, im Gegen teil, daß er ihrem Herzen sehr, sehr teuer war. Nun kämpfte das gute Kind einen schweren Kampf, den ersten in ihrem sonnigen Leben, zwischen dem heißen Verlangen nach eigenem Glück und zwischen dem brennenden Wunsche zwei von ihr innig geliebte Menschen glücklich zu machen. Es lag in ihrer Hand, Gustav würde nie von selbst zurücktreten, das wußte sie, dazu war er viel zu sehr Ehrenmann und waren so sie auch nicht öffentlich verlobt, wußten sie doch beide, daß sie für einander vom Vater bestimmt waren. Es war ein Lieblingswunsch ihres Vaters, aber der Vater würde sich fügen, wenn sie ihm erklärt, sie liebe Gustav nicht, könne nicht seine Gattin werden. Die beiden Freundinnen saßen mit Handarbeiten beschäftigt auf einer ein¬ samen Bank in der Promenade, die Herren waren zu einer Partie Billard ins Kurhaus gegangen, nach einer Stunde wollten sie die Mädchen zum Spazierengehen abholen. Maria hatte immer im Stillen gehofft, Isa würde ihr ihre Neigung für Gustav anver¬ trauen, aber so oft sie auch von Gustar aufing, nie ging sie darauf ein, ent¬ weder sie schwieg oder sie fing von etwas anderem an zu reden. Maria mußte demnach suchen, ihr auf andere Art beizukommen. „Wirst du auch 53 einst, wenn es so weit ist, zu meiner Hochzeit kommen, Isa?“ fragte sie plötzlich und unvermittelt. „Ja, gedenkst du denn so bald zu heiraten? Ich wußte gar nicht, daß du verlobt seiest“, antwortete Isa „und wer ist der Glück¬ liche, der dich heimführen wird, wenn man fragen darf?“ scherzte sie. „Rate! „Wie kann ich es raten?“ „Du kennst ihn“ sagte Maria, die Augen fest auf Isa richtend. „Ich kenne ihn? Ich ich weiß wirklich nicht“, kam es un¬ sicher von Isas Lippen. „Nun denn Gustav ist es, es ist Vaters Wunsch, daß wir ein Paar werden. „Und du du liebst ihn?“ sagte Isa mit zitternder Stimme. „Das habe ich nicht gesagt“. „Und Gustav, Herr Medem, liebt dich?“ „Das habe ich auch nicht gesagt“, meinte Maria. „O, Maria warum sagst du mir das erst jetzt?“ Der Schlag war zu plötzlich, zu un¬ vermittelt gekommen; er traf Isa voll ins Herz, alle und jede Selbstbeherr¬ schung verlor sie in diesem Augenblick. Sie schlug die Hände an das Angesicht und ein bitteres, qualvolles Schluchzen 77 erschütterte ihre Gestalt. „Erst jetzt? sagte Maria, „wo du meinst, es ist zu spat, um die Neigung und die Liebe zu unterdrücken, die du für Gustav fühlst? Komm, Kind, beichte, fuhr sie fort, indem sie den Arm um die Freundin schlang und heiß und leiden schaftlich kam es von Isas Lippen, wie sie ihn von Anfang an, ohne es zu wissen, in ihr Herz geschlossen, wie die Neigung zu ihm gewachsen von Tag zu Tag und jetzt: „Gott, warum blieb ich hier? Fort, fort, so schnell wie möglich fort!“ „Nein, du bleibst“, sagte Maria, „und jetzt trockne deine Tranen, dort kommen der Vater und Gustav uns zu holen“. Gustav sah er 55 erstaunt auf die beiden Mädchen, sah die große Erregung in ihren Zügen, er sah die Tränenspuren auf Isas Wangen; er wollte fragen, da hob Maria den Finger und gebot ihm Schweigen. „Isa ist nicht wohl, Gustav führe sie nach Hause, ich gehe noch

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