Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1913

42 recht, völlig recht. Aber trotzig ließ sie diese Stimme nicht in sich aufkommen, sie wollte nicht darauf hören, sondern lieber ihrer Eitelkeit nachgeben. Viki erfuhr unterdessen, daß Lothar sie von einem Fenster seines Hotel zimmers aus hatte fortgehen sehen und ihr sodann mit Oskar gleich gefolgt war. Als es endlich Zeit war, ins Hotel zurückzukehren, hing sie sich fröhlich, wohlgemut an seinen Arm Isabella schritt daneben hin. Aber sie hatte erst einige Schritte von der Bank hinweggetan, als sie wieder dahin zurückkehrte. Sie hatte ihr Reise¬ täschchen vergessen, das sie vorhin in der Hand getragen. Es lag am Boden unter der Bank und daneben ein zer¬ knitterter Brief. Was sie eigentlich dazu trieb, diesen Wisch aufzuheben? Einem seltsamen Zwange nachgebend, schol ihn Isabella in das Täschchen. Dann eilte sie den anderen nach, die viel zu viel mit sich selbst beschäftigt, ihm Zurückgehen gar nicht wahrgenommen hatten. Es war nach dem Diner, als Viki vor die an einem Fenster sitzende Freundin trat, mit verwirrter Miene und scheuem Blick. „Liebe Isabella, sagte sie, „zürne mir nicht, wenn ich dich allein an der Konkurrenz teil¬ nehmen lasse — ich habe mich anders besonnen.“ Argerlich hatte das schöne Mädchen den Kopf erhoben. „So? Jetzt auf einmal? Da ist sicherlich Vetter Lothar schuld. Viki nickte. „Ja, es ist ihm lieber, wenn ich es nicht tue. Er gestand mir auch, daß er mich lieb habe, seit da¬ mals, als er mich zum erstenmal ge¬ sehen. Da ich ihn wieder liebe, warum sollte ich seinen Wünschen entgegen handeln?“ Isabella hatte ein zorniges Lachen. „Nun, das sehe ich, unter den Pantoffel wird dein zukünftiger Mann nicht zu tehen kommen — oder du müßtest dich als Frau sehr verändern! Also ja, gehe nur und kehre nur allsogleich heim, ich wende dir nicht im geringsten etwas ein. Viki aber schlang den Arm um sie und schaute bittend in ihre Augen. „Du bist mir böse, Bella? Das darfst du nicht. „Das wird dich nicht sehr schmerzen und Lothar kann dich ja darüber trösten, entgegnete Isabella trotzig, wehrte Viki ab und erhob sich. „Geh' lass’ mich, ich muß meine Sachen in Ordnung bringen, die Reise geht ja bald weiter. „O du, mitfahren tu' ich doch, es wird ja auch so sehr schön werden! Lothar und sein Freund fahren gleich¬ falls mit, sie wollen sich auch Brüssel ansehen.“ Und nun hing Viki schon wieder an Isabellas Hals. „Bella, sei gut, ich bin ja so glücklich, und dein Bösesein würde mir viel, so arg viel Freude verderben! Sei gut, sei gut! Isabella sah endlich, gerührt von dem Flehen, in Vikis Antlitz nieder, einen Moment mit ganz wunderlichem Blick. Dann küßte sie rasch die weichen Mädchenlippen. III. Die drei Damen saßen mit den beiden Herren ganz allein in einem Kupee. Oskar befand sich Isabella gegenüber an einem der Fenster. Sie fühlte öfters seinen Blick auf sich ruhen. Der Ausdruck darin erschien ihr vorwurfsvoll. Die Mutter schlief bald ein, Viki und ihr Vetter plauderten eifrig mit¬ sammen, die beiden am Fenster aber sprachen kein Wort. Oskar zog schließlich ein Buch aus seiner Tasche und begann in demselben zu lesen. Zornig flammten Isabellas Augen auf — er wollte sie ignorieren, mochte mit einem Mädchen, das die so köstliche mädchenhafte Scheu verloren, nichts zu tun haben. Gut, sie wollte ihn gleich¬ falls ignorieren. Sie öffnete ihr Täsch¬ chen, um das gleichfalls mitgebrachte Buch herauszunehmen, da erschaute sie den zerknitterten Brief, den sie im Volksgarten gesunden. Ein wenig Neu gierde packte sie und dem Trieb, mit

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