38 Fortsetzung von Seite 35. Isabella drohte schalkhaft mit dem Finger. „Du du, ich glaube, du bist wankelmütig! Ich wette, wenn Lothar nur ein bischen hübsch ist, dann nimmt er dich so sehr gefangen, daß er den „geliebten Gläubiger' ohne weiters aus deinem Herzen verjagt. Aber ich will dir sagen, daß ich Partei ergreife für den ersten Besitz¬ nehmer deines Herzens und danacl handeln will. Wir reisen bereits über¬ morgen früh ab, damit du keine Gelegen¬ heit hast, Lothar jetzt kennen zu lernen. Somit mußt du dich sofort entschließen ob du mitkommen willst oder lieber diesen Lothar zu erwarten beabsichtigst.“ „Aber, Isabella, bedenke doch meine Minderjährigkeit! Wie magst du mich vor eine so schwere Wahl stellen? Wäre ich derart gestellt wie du, daß ich nur nach meinen eigenen Wünschen und nach denen einer liebevollen, nachsichtigen Mutter fragen dürfte, so ginge ich gerne mit. Aber ich lade den Zorn meines Onkels auf mich, gehe ich gegen seinen Willen.“ „Nun gut, Zaghafte, so warte ab, bis der Herr Onkel den Faden ge¬ knüpft hat, der dich an seinen lieben Neffen bindet,“ entgegnete Isabella ironisch. Dann griff sie nach Hut und Schirm, um die Freundin ein Stück Weges nach Hause zu begleiten. II. Goldig webte ein Sonnenstrahl um das Haupt Isabella Lorings, als sie eben im Begriffe stand, die Reise nach Brüssel anzutreten und sich noch einmal nach rückwärts wandte, ehe sie den Zug bestieg. Ihr suchender Blick fand die Erwartete nicht Viki kam nicht. Es war umsonst ge¬ wesen, dieselbe zu einem raschen Ent¬ schluß zu treiben durch eine frühere Abreise — der Onkel versagte seine Einwilligung. Gestern war Viki bei der Freundin gewesen, um ihr traurig mitzuteilen, sie könne nicht reisen, so gerne sie auch wolle — Onkel ver¬ biete es und sie könne nichts dagegen tun. Dann hatte sie aber Isabella versprochen, zum Abschied auf den Bahnhof zu kommen. Isabella wandte sich mit ärgerlicher Miene herum. „Viki kommt wirklich trotz ihres Versprechens nicht,“ sprach sie in den Waggon hinein, wo es sich ihre Mutter, die sie begleitete, bereits bequem gemacht hatte. „Wir müssen abreisen, ohne sie nochmals gesehen zu haben. Sie sprang in den Waggon rückte sich neben ihrer Mutter, einer wohlbeleibten, rotwangigen Dame, in bequeme Stellung zurecht und blickte mißmutig aus dem Coupéfenster. Da schaute sie plötzlich schärfer zu richtig, da kam Viki noch im letzten Augenblick herbeigeeilt! Ge¬ schwind fuhr der blonde, schöne Mädchenkopf zum Fenster hinaus und nickte der die Waggonreihen entlang Schauenden zu. Eilig kam Viki heran. „Offne, öffne!“ stieß sie hastig heraus. „Ich fahre mit.“ „Wie? Was?“ rief Isabella ver¬ wundert, öffnete aber rasch und half Viki einsteigen. „Bist du Onkel ent¬ laufen?“ „Nein, nein, ich habe ihm die Einwilligung gestern noch abge¬ trotzt, aber es gab so viel zu tun mit dem Zurüsten zu dieser Reise, daß ich dich nicht mehr verständigen konnte und nun beinahe noch zu spät ge¬ kommen wäre.“ Und lachend, mit zu¬ friedenem Gesichtchen ließ sich Viki in einer Ecke nieder. Spät nachmittags langte man in Linz an. Hier wollte man in einem Hotel übernachten, um erst am nächsten Nachmittag die Reise fortzusetzen. Isa¬ bellas Mutter war auf die Schon¬ heitsfahrt nur unter der Bedingung von häufigen Unterbrechungen, in denen sie sich genugsam ausrasten könne, eingegangen. Sonst wäre es ihr bei der Fülle, deren sich ihr Körper erfreute, zu beschwerlich ge¬ worden. Darum hatte man die Reise viel früher, als es eigentlich nötig gewesen wäre, angetreten.
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2