Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1913

34 Herr Onkel und Vormund meint: wenn nur erst Lothar da ist, dann kommt ohnehin der ganze Plan in Frage. Du wirst dich dann um einen andern Schönheitspreis bewerben wollen: — um Lothars Zuneigung. Viki sprang auf und hielt mit ihren kleinen, weichen Händen der Sprecherin den Mund zu. „Ach, du Lose, was du nicht alles weißt! Und gesetzt, es wäre der Fall, dann käme eine derartige Idee Onkels sehr in Frage! Ich kümmere mich gar nicht um Lothars Zuneigung — mein Her¬ ist längst in Banden.“ Ein tiefer Seufzer entfloh den blühenden Mäd¬ chenlippen. Aber die Vergißmeinnicht¬ augen schauten plötzlich verwirrt in Isabellas Gesicht, während die Hand von dem Mund der Freundin weg¬ glitt und schlaff niedersank. Isabellas Augen erhielten einen staunenden Blick. „Viki, was sprichst du da von deinem Herzen?“ fragte sie befremdet. „In Banden sei es? Was ist's damit? Du hast mir doch niemals von derartigem gesprochen!“ „Nein, weil nicht viel dahinter ist, war die zogernd gegebene Erwiderung. Aber Isabella schaute der Freundin vorwurfsvoll ins Gesicht. „Du, Viki, wenn ich nicht an deinen Gefühlen für mich zweifeln soll, so sage mir die Wahrheit, die volle Wahrheit. Denn, wenn nicht viel dahinter wäre, hättest du vorhin nicht so gesprochen.“ Dabei schlang das schöne Mädchen einen Arm um Viki und zog sie zu sich heran. Viki barg das glühendrot gewordene Antlitz an der Schulter der Freundin und sagte: „Ja, gut, ich will dir's agen, mein Herzensgeheimnis. Du wirst dich vielleicht erinnern können, daß ich auf meiner Reise im vorigen Jahre, als ich vom Institut zum Onkel hieher kam, Linz berührte ich glaube, daß ich dir das schon ein¬ mal sagte! Auf dem dortigen Bahn¬ hof nun stieg ein junger Mann ein, der einige Stationen weit mitfuhr. Er war hübsch und sah fein aus, ein blonder, frohsinniger Mensch. Ich hatte mir nun gerade zuvor, ehe er einstieg, ein Glas Wasser geben lassen, da ich von der Hitze so schrecklichen Durst hatte, als ich aber nun zahlen wollte, da war nicht ein bischen Kleingeld in meinem Geldtäschchen und die Wasserverkäuferin konnte mir auf einen Gulden nicht herausgeben. Da half mir der junge Mann aus der Verlegenheit, indem er für mich be¬ zahlte. Aber als er dann nachsah, ob er mir meinen Gulden wechseln könne, brachte er nicht so viel Kleingeld zu¬ sammen und ich mußte seine Schuld¬ nerin bleiben. Die einzige Insassin, die mit im Waggon war, vermochte uns auch nicht aus der Not zu helfen. Der junge Mann versicherte lachend, es sei ihm gar nicht unlieb, mein Gläubiger geworden zu sein und in betreff der Quittung der Schuld ver lasse er sich auf den Zufall, der ja auch heute ein so guter Gelegenheits¬ macher gewesen und uns auf so hübsche Weise zusammengeführt habe. Wir haben die übrige Zeit des Zu¬ sammenseins verplaudert und als er ausstieg, wußte ich, daß mein armes Herz nicht mehr so frei war wie zuvor, ehe ich ihn gesehen.“ Den schönen Mund Isabellas um¬ spielte ein leichtes Lächeln, als sie nun fragte: „So schnell ist das ge¬ gangen, so über alle Maßen schnell? Ach, Vikichen, was hast du für ein rasch empfängliches Herz! Und der Eindruck hält fest? Du hast ihn nicht vergessen in diesem ganzen langen Jahre? Viki schüttelte verneinend ihr Köpf¬ chen so energisch, daß die Locken wirr durcheinander flogen. „Ich sehe ihn jederzeit, wenn ich an ihn denke, deutlich vor mir und dann reizen mich seine lustig funkelnden Augen immer zum Lachen. O, und du, weißt du, was ich denke und warum ich eigentlich einwilligte in diese Schön¬ heitsfahrt? Wir passieren auf unserer

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