18 und eine wetterverwaschene Loden¬ joppe — über den Rücken aber hing ihm eine Büchse und Rucksack. Agathe starrte ihn mit neuem Staunen an. Welch ein Tag der Rätsel war heute! Kam ihr denn nicht auch dieses wilde, jetzt zu trutzi¬ gem Grimm verfinsterte Gesichtso traumbekannt, so seltsam vertraut vor? War es ihr nicht, als ob schon oft, wenn sie im Halbschlummer lag, sich dieses mächtige Haupt über sie hereingebeugt und sie mit so ganz anderem Ausdruck, mit einem Blick voll Kummer und Liebe, wie mit einer Bitte um Verzeihung auf den Lippen betrachtet hatte, bissie vollends erwachte und die ganze Gestalt dann plötzlich wie in den Erdboden verschwunden von ihr ge¬ wichen war! Geh', Bursch',“ sagte der Fremde, „laß dos Dirndl in Ruh' mit dei'm — G'schwätz, dös nix taugt fürsie und du komm',“ fuhr er mit einem eigentümlich zitternden Klang in der Stimme gegen Agathe fort, „i kenn di scho — du bist an Totenhofer sei Kind — i führ' di hoam— hätt'st überhaupt nimmer 'rausg’hört bei Nacht! Befangen von der traumhaften Er¬ innerung reichte Agathe ohne Zagen dem Machtigen die Hand und winkte Gregori einen Abschiedsgruß zu, worauf sie der andere sorgsam, wie eine Mutter ihr Kind, nach oben ge leitete. So lange er es sah, schaute der Bucklige dem seltsamen Bilde nach. * Die alte Traudl war noch spät abends auf dem kleinen Friedhof ge¬ wesen und hatte das Grab der Bäuerin, auf welches tagsüber die glühende Bergsonne niedergebrannt mit frischem Quellwasser begossen dann kehrte sie nach Hause zurück. Der Totenhofer war nicht da sie wußte das schon. Seit zwei Tagen war er nur wenig zuhause. Mit grauendem Morgen warf er seine Büchse um und kehrte erst abends heim — um dem Edelhirsch nachzu¬ pirschen, den er droben entdeckt hatte — so sagte er; aber die Alte merkte wohl, daß etwas Gewaltiges in ihm wühlte, daß er in irgend einer schweren Sache nach einem Ent¬ chlusse, nach einem Auswege, nach einem Mittel ringe, und ihr, die sie die Geschicke des Hauses kannte und elbst das Schwerste miterlebt hatte, ihr graute, wenn sie dachte, es könnten die alten Dinge wieder aufgeweckt werden. Vor allem bangte sie für den ängst¬ lich behüteten Frieden des Stolzes und der Freude des Totenhofes, Agathens. War ihr doch das Kind selbst seit ein paar Tagen so ver¬ andert, so unruhig, so aufgestört aus ihrem Gleichmaß und Seelenglück vorgekommen. „Agerl!“ rief sie, als sie in die Küche trat und die Gießkanne beiseite stellte. Keine Antwort. Sie ging in die Wohnstube — auch dort war das Mädchen nicht zu finden. Nun stieg sie nach oben, wo die Haustochter ein eigenes, hell freundliches Stübchen mit Rosen und Nelken vor allen Fenstern hatte; aber das Stübchen war leer, und wo sonst Traudl nach ihrem Liebling suchte, fand sie ihn nicht. Auf einmal fuhr ihr der Schreck in die Glieder. Es ward doch nicht vergessen worden — dort abzu¬ sperren? Sie trat in die finstere Gerümpel¬ kammer, die an der Rückseite des Hauses lag und schob dort etliche Leitern und Gestelle auseinander, hinter denen sich eine starke Eichentür barg. Durch die Tür klang ein Brausen fern her, als ob eine gewal¬ tige Wassermasse von den Felsen in eine Schlucht hinunterstürzte. Sie rüt¬ telte an der Tür, dieselbe war ver¬ schlossen.
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