16 Da kam ihr plötzlich die Erinne¬ rung, wo sie diese verkümmerte Gestalt schon gesehen — am Marterl an der Felswand war es. Oft, wenn sie da vorüber schritt oder mit einem rischen Blumenkranz nahte, um es zu schmücken, hatte sie den Buckligen dort in stummem Gebete gefunden; aber jedesmal war er mit beschei¬ denem Gruße rasch aufgestanden und weggegangen. Er war wohl auch unglücklich, ein¬ sam und von der Welt ausgestoßen wie sie. Sie fühlte es, daß ihr Erschrecken ihm weh getan hatte, und seine Träne brannte ihr auf der Stirne. Wieder schlug sie die Augen auf und sah ihn freundlich an. „Warum woanst denn?“ frug sie ihn mit mildem Ernst. Da zwang sich Gregori zu einem Lächeln und sagte: „Ah, was! Weil ##a narrischer Kerl bin! I geh' a glei wieder — brauchst di net z'scheuen vor mir! Ihab' bloß g’moant wannst am End' recht krank wärst oder wann a Natter daher käm' im Gras — daß dir nix passieren tät'! Sie richtete sich zu sitzender Stellung auf und reichte ihm die Hand hin. „Du bist a guter Bursch!“ sagte sie und strich sich die Flechten aus dem — vom Gesicht. „J kenn' di scho Marterl her, woaßt! Er nickte und die frohe Erinnerung verschönte seine Züge. „Wer bist denn eigentli?“ fuhr siefort. „J bin der Gregori, a armer Bua aus'm Dorf drunt, der bei de Bauern umananda hilft und sich seine paar der so vedeant! agte Kreuzer i sich, Krüppel und stand auf. „Aba, — i will es geht scho wieder bei dir „ dir net länger lastig sei!“ „Lästig bist mir net!“ antwortete muaß dir sie. „Im Gegenteil, i danken, daß du di um mich ang'nom¬ men hast, wie s’ mi alle Und die Erinnerung kam ihr wieder; der Gedanke an all das Schreckliche, das sie in der letzten Stunde erlebt hatte, machte sie schau¬ dern. „Und doch hast recht!“ flüsterte sie. „Es is besser, wann du gehst — es könnt' dir leicht bei die Bauern chaden, wenn sie hören täten, mit wem du umgangen bist —“ „Woaßt denn du, wer i bin?“ frug sie ihn und sah ihn mit ihren großen Augen ängstlich fragend an. Er nickte. „An Totenhofer sei Kind bin i!“ murmelte sie und schlang die Hände ineinander. „Die ausg'stoßene Tochter von an ausg'stoßenen Vater „Und dös woaßt du,“ unterbrach sie sich und sah ihn erstaunt an. „und rennst net davo und spott'st mi net — warum denn net — mir g’hört 's net anders!“ „Geh',“ bettelte der Bucklige und kniete sich neben sie hin und strei¬ chelte ihr Haar, „geh’, red' net so wüast! Die Leut' san dumm und schwatzen a Masse Zeug daher, was sie selber gut net versteh'n — Da mnaßt net d'rauf achten — dös is ja alles net so g’moant —“ Sie durchschaute seinen hilflosen Versuch und schüttelte den Kopf. „Hör' auf,“ sagte sie erregt, „du glaubst 's ja selber net! Aber wann du mer wirkli was Guat's tun willst, wann du wirkli a Mitg'fühl hast mit a Fremden, mit a Ausg'stoßenen, nachher sag' mir die Wahrheit! Du hast so a guat's G’schau und dei Stimm' klingt freundli, daß ma 's hört, sie kommt von Herzen — du hast koan Haß auf mi und koa Ur¬ sach', mi z'verderben — du kannst mir die Wahrheit sagen und i muaß d' Wahrheit wissen — so is 's koa Leben mehr in der schrecklichen Un¬ g’wißheit — i bitt' di ums Himmels¬ willen, sag' mir 's: Hat mei Vater Sie rang danach, den entsetzlichen Vorwurf herauszubringen, aber es gelang ihr das erste Mal nicht.
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