Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1913

„Was misch'st du di d'rein?“ rief ihm Toni zu und faßte ihn am Arm. Es war ihm als hätte hier er allein es auszumachen mit der, die ihn ge¬ schlagen hatte. Einen Augenblick gab es ein Ringen zwischen den beiden — mit einemmale aber tönte ein lauter Schrei von vielen es hatte hell auf in der Luft geblitzt. „Er hat a Messer, er sticht!“ chrien sie. Da sank auch schon Toni rücklings mit einem schweren Stöhnen leblos zusammen. „Jessas, mei Toni!“ rief Evi ent¬ setzt auf und umfing ihn mit den Armen. Die Weiber stürzten kreischend auseinander; die Männer aber hatten im Augenblick den Elserpeter nieder¬ gerungen und ihm das Messer ent¬ wunden. „Vist dei'm Vatern sein echter Sohn!“ rief ihm der Bergwirt zu. „Muaßt a im G'fängnis sterben wie er. Der Peter lachte. Ihm war's als wäre ihm leichter, als hätte er an dem stolzen Bauernsohne eine Schuld ab¬ zuzahlen gehabt für sie und sich, er, der ja auch der Sohn eines Geächteten war. 77 „Macht's was ihr wollt mit mir, antwortete er und ließ sich ruhig fort¬ schleppen. „Ja, ja, sagte ein altes, zahnloses Männlein. „Der Apfel fallt net weit vom Stamm. Und Schuld an dem ganzen Unglück is nur die von da droben — die hat's Unheil 'reinbracht sonst hätt' er net g'stochen.“ Und alle Umstehenden nickten: „Recht hat er. * Agathe war aus dem Kreise ge¬ wichen und, entsetzt von dem wider¬ lichen Anblick der wütend gegen sie losstürzenden Bergwirtstochter, die Dorfgasse hinauf geeilt, so daß sie von dem, was unmittelbar nachher geschah, nichts mehr wahrnehmen konnte. Es wäre auch sehr zweifelhaft gewesen, 15 hätte ob sie die Dinge noch weiter elbst verfolgen und begreifen können, wenn sie in der Nähe geblieben wäre; denn der fürchterliche Vorwurf, den ihr Toni entgegen geschleudert hatte und dessen Bestätigung sie auf den Gesichtern aller Umstehenden las, hatte ihr fast die Besinnung geraubt, so daß ie lange Zeit in die Nacht fortstürmte, rein mechanisch wie ein gehetztes Wild, das sinnlos vor Angst in die Weite eilt. Zuletzt aber, als längst das Dorf hinter ihr lag und die einsame Berg¬ wildnis sie aufgenommen hatte, ver agten Füße und Atem gleichzeitig den Dienst und sie brach zusammen — ein Opfer jener grausamen und hart¬ herzigen Menschen, welche die Seele des ahnungslosen, bis dahin von keinem Leid gekrankten Mädchens tötlich ver¬ wundet hatten. Vor Ermattung, Schreck und Auf¬ regung schwanden ihr die Sinne und ie lag leblos mitten im tiefen Grase. Der erste Eindruck, den sie wieder von der Außenwelt empfing, war ein leises Geräusch dicht an ihrem Ohre. Wie sich ihr Begriffsvermögen langsam stärkte, erkannte sie sanfte Töne, eine milde, freundliche, aber ihr fremde Stimme, die sie mit liebkosenden Worten zu trösten schien. Sie öffnete die müden Augen, schloß sie aber sogleich entsetzt wieder. Das Gesicht, welches sich da, voll vom Monde beschienen, über sie beugte, war zu häßlich, als daß sie nicht davon hätte abschrecken müssen. — Gregori Der arme Bucklige war's, der ihr mit besorgtem Herzen aus dem Dorfe nachgeeilt war und nun wie eine treue Mutter das Haupt der Ohnmächtigen im Schoße hielt hatte sich über den Eindruck nicht ge¬ täuscht, den sein Anblick dem Mädchen verursachte. Eine stille, herbe Träne schlich sich über sein Gesicht und fiel wider seinen Willen auf die Stirn des schönen Mädchens nieder, während er deren Kopf sanft neben sich in das Gras bettete.

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