14 „So gib s’.“ entgegnete sie. „Was?“ rief jetzt Evi dazwischen. „Sie schlagt an Buam von unserm Dorf, sie kommt da mitten 'rein g’schneit und verlangt Rechenschaft von uns als ob wir ihr was schuldig wären — wer ist denn die herg'laufene Dirn eigentli? „Wer s' is,“ lachte Toni laut auf mit beißendem Spott. „An Totenhofer ei Kind is s'.“ Wie vor einem Gespenste wich das Bauernvolk auseinander. Alle hatten erwartet, daß sie eine kecke Dirne aus einem Nachbarorte wäre, mit der an¬ zubinden den eigenen Reiz aller solcher nachbarschaftlichen Sticheleien hin und her gehabt hätte — nun aber war es die. Die, an die keiner gedacht hätte, die, von deren Existenz die wenigsten etwas wußten. Und da stand sie und sah aus wie ein anderer Mensch, ja, die meisten mußten sich einbekennen, daß es sogar ein schönes, stolzes Mädchen war, wie wenige im Dorf. Und die wagte zu kommen, die wagte so auszusagen, über deren Vater seit einem Viertel¬ jahrhundert hier unten der Stab ge¬ brochen war, der geächtet war und wie ein Schreckbild den Kindern zur Einjagung heilsamer Furcht vor Augen gehalten wurde. Die Burschen standen lautlos, die Mädchen wichen scheu auf einen Haufen zusammen, wie vor einer giftigen Schlange, und etliche alte Weiber be¬ kreuzten sich gar, um die Gefahr von sich abzuwenden. Unter den gesetzteren Männern aber herrschte eine Stimme der Entrüstung: Wie ein Schimpf für das ganze Dorf, wie eine Entweihung ihres von Recht und Ordnung ge¬ heiligten Grundes und Bodens kam es ihnen vor, daß die herein zu treten wagte — die Tochter des Mörders des Geächteten. Der alte Bergwirt mit seinem weißen, ehrwürdigen Kopf übernahm es, den Teufel auszutreiben. „Du,“ sagte er und wies mit aus¬ gestreckten Arm die Dorfgasse hinauf, „du, sei so guat und mach' sofort, daß d’ aus unserer Mitten kommst, du hast da unter ehrliche Leut' nir z'suachen.“ Da blitzten Agathens Augen, ihr Gesicht überzog dunkle Röte und auf ihrer Stirn stand plötzlich eine Ent¬ schlossenheit geschrieben, die an des alten Totenhofers Trotz erinnerte „Warum hab' i nir z'suchen unter ehrliche Leut'?“ frug sie laut. „Bin i vielleicht net ehrlich und is 's mei Vater net? „Na,“ rief Toni jetzt. „Er is 's net. Da vor der ganzen Gmoa, die mir's bestätigt und von der i's woaß, gibi dir iatzt Rechenschaft, warum i g’sagt hab’, er taugt nix — weil er sein leiblichen Bruader über die Wand abi g’rennt und an Jager derschoss'n hat.“ Mit beiden Händen fuhr sich das Mädchen jäh an das Gesicht; es war ihr als hätte ihr einer plötzlich das Herz aus dem Leibe herausgerissen. Ihren Vater, ihr Heiligtum, ihr Höchstes auf Erden hatte man ihr entrissen, entweiht, zum Mörder gestempelt. „Verleumder!“ rief sie. „Beweis beweis' deine Lügen.“ „Das ist bewiesen, antwortete der Bergwirt und aus seinen steinharten Worten erklang die durch ein Viertel¬ jahrhundert im ganzen Dorf gefestete Überzeugung. So seid ihr alle Verleumder!“ rief das Mädchen und ballte drohend die Faust. „Fürcht's Gott im Himmel mit eurem Unrecht.“ „Ah, da schau her!“ rief jetzt Evi in tötlichstem Hasse. „Die Ausg'stoßene, die Mörderstochter will uns a Predigt halten, sie will uns schimpfen und an unsern Herrgott erinnern, wo sie selber koan Glauben hat.“ Und wie eine Furie mit gekrallten Fingern stürzte sie auf das wehrlose Mädchen zu. Aber im gleichen Augen¬ blick sprang einer vor — der Elser¬ peter war's — und riß sie zurück.
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