Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1912

102 Mädchen wacker eingetreten und der Schonda Franz hat sich manch' Helden¬ stücklein geleistet und ist nur sehr ge¬ kränkt, daß er bei der Bürgerwehr nicht Fahnenträger geworden ist, das wäre ein Fall. Der alte Schonda hat ihm verziehen und der alte Kappenfuß scheint ihm nicht mehr gram zu sein. Alles hat sich zusammengetan, um die Ungarn zu vertreiben und für den September war das allgemeine Aufge¬ bot einberufen. Durch fünf Wochen wurde die Tettauerschanze bela¬ gert und am 9. Oktober erfolgte der allgemeine Sturm auf dieselbe. Meinem Pfarrkind, dem Schonda Franz, war es dabei gelungen, mit seiner Rotte zuerst in das mit Pfählen stark verrammelte Tor außerhalb Ernsthofen einzudringen und eine ungarische Fahne zu erbeuten er hatte also seine Fahne. Die Aufregung in der Stadt hier war eine ungeheuere, kein waffenfähiger Mann war zu Hause, alles tat wacker mit. Am 10. Oktober übergab der edle Herr Tettauer gegen freien Ab¬ zug, die Ungarn zogen noch am selben Tag nach Niederösterreich hinein ab und unsere wackeren Streiter brachten die riesige Beute aus dem ungarischen La¬ ger vor Steyr, in welches am 12. Ok¬ tober ein gar feierlicher Siegeseinzug veranstaltet wurde. Die Schanzen, Brücken und Türme in Ernsthofen waren zum Abbruch gegeben worden und so leben wir der Hoffnung, daß wir in Hinkunft von unserem gestrengen Nach¬ bar befreit sein werden. Daß wir in Stadt Steyr in der Nacht vom 9. auf den 10. Oktober kein Auge schlossen, ist natürlich, alles war auf den Straßen und wartete auf Nach¬ richten von Ernsthofen her, endlich, am 10. Okt., um 11 Uhr vorm., kam ein Bote angesprengt u. meldete dem Herrn Erzbischof: „die Ungarn ziehen ab!“ „Gott sei Dank und Lob!“ Das jauchzte und frohlockte nach so vielen Kriegsjahren, alles war versöhnlich gegen einander gestimmt und hatte das Gefühl: jetzt beginnt für Stadt Steyr ein neues Leben. Aus diesem versöhn¬ lichen Gefühle heraus mag es zu er¬ klären sein, daß der alte Kappenfuß und der alte Schonda am Abend des 11. Ok¬ tober noch bei mir erschienen und mir ehr bestimmt erklärten, ihre Kinder, die Anna und der Franz müßten zur Feier des glorreichen Sieges morgen, vor dem Einzug getraut werden, diese Ge¬ nugtuung seien beide Familien dem tap¬ feren Franz schuldig, der so wacker gefoch¬ ten und nun als vollwertiger Bürger*) am Siegeseinzug sich beteiligen solle. Mußte also in finsterer Nacht noch alle Dispensen besorgen und am 12. Ok¬ tober um 7 Uhr früh, segnete ich das glückliche Paar zum Bund fürs Leben und der Schonda Franz küßte mir her¬ nach die Hand und sagte nur: „Der liebe Gott macht alles recht! Am 12. Oktober um 10 Uhr vor¬ mittags, erfolgte der Einzug der Sie¬ ger in unsere liebe, nun befreite Stadr Steyr. Vorauf die Helden mit der Sie¬ gesbeute, dann die hochwürdige Geist¬ lichkeit mit dem hochwürdigsten Herrn Erzbischof und den Herren Aebten von Garsten in Inful u. mit Hirtenstab, dann das Volk und alle wallten voller An¬ dacht hinauf zur Kirche, wie zum Dome vom hl. Agyd und Kolomanni. Herren und Knechte, Arme und Reiche, Alt und Jung, sanken zerknirscht in die Knie und als der hochwürdigste Herr Erzbischof am Hochaltare das „Te deum laudamus“ mit vor Rührung zitternder Stimme anhub, antworteten in den ehrwürdigen Hallen von Sankt Agyd und Kolomanni und draußen in den Straßen, auf den Knieen liegend und die Hände fromm gefaltet und zum Lenker der Geschicke im Danke hoch er¬ hoben, tausende und abertausende vor Freude aus dem innersten erschauernde Menschenkinder, in zum Himmel brausen¬ dem Chor: „Großer Gott, wir loben dich Herr, wir preisen deine Stärke! .... *) Dazu mußte einer verheiratet sein.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2