Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1912

Herrn Erzbischof stramm ins Antlitz sehend, ab und schwenkte zur Enns¬ brücke, um in die Stadt zu gelangen. Der Herr Erzbischof aber sah ihnen lächelnd nach und die Leute priesen seinen gerechten Sinn. Heute (den 9.) nachmittags, erhiel¬ wir eine gar seltsame Kunde. ten Der Herr Erzbischof und ich er¬ gingen uns vor dem Ennstore, da kam ein Ritter zu Pferd, gefolgt von einem Knappen und umgeben von einer Rotte Bürgerwehr auf uns zu, geführt von einem Vormann, groß, hoch und stark. Der Vordermann von der Bürgerwehr, der Schonda Franz, brachte einen ungari¬ schen Gesandten, welcher den Herrn Erz¬ bischof zu sprechen wünschte. Merkwürdig, sonst waren der Franz und seine Genos¬ sen schwarz, diesmal sah die Rotte sauber gewaschen und hergerichtet aus, die Pluderhosen waren neu und ziemlich bauschig und die Schwerter und Helle¬ barden der Leute erglänzten im funkeln¬ den Sonnenschein gar neu, halt eben aus den Vorratsräumen der Bürger¬ wehr entnommen. Es war die erste „große“ Rolle, welche der Franz und seine Begleiter als Ehrengeleite des un¬ garischen Abgesandten da spielten. Fein und zierlich verbeugte sich der Franz vor dem Herrn Erzbischof. „Euer ein ungarischer Herr und — Gnaden Gesandter!“ er Der edle Sohn aus Ungarn, jetzt schwarz gekleidet, nicht seinesonst schwarze Ehrenbegleitung, in schwarzem Attila und schwarzer, schwarz=pelzver¬ brämter Mente, nußgroßen Diamanten auf der Kutschma?), sprang zierlich vom Pferde, beugte das Knie vor dem Herrn Erzbischof und sagte sich vorstellend: „Hochwohlgeborener, hochwürdigster Herr Erzbischof, bin ich Zoltän Kärpathy de Kärpath de Genere Zoltän!“ Unser Herr Erzbischof, der ja aus Ungarn stammt, erwiderte mit feier¬ licher Verbeugung, ebenso zierlich: *) Attila = Oberrock, Mente= Umhang für den Winter, Rutschma = Kopfbedeckung mit Feder. 101 „Wohlgeborener Herr Zoltän Karpäth, de Kärpath de Genere Zoltän, ich höre bitte!“ Und nun legte der edle Herr im Tausendgoldguldengewande los: „Er sei vom königlich ungarischen Feldhaupt¬ manne, dem edlen Herrn von Tettauer mit der traurigen, jedes Ungarherz tief betrübenden Botschaft gesandt, König Matthias, der Gerechte, ist nicht mehr, er sei zu Wien, am 6. April 1490 plötz¬ lich verstorben und der edle Herr von Tettauer bitte um vier Tage Waffen¬ tillstand zur Abhaltung der Trauer¬ feierlichkeiten im Lager. Der Herr Erzbischof war natürlich vom plötzlichen Tode des ungarischen Königs sehr überrascht und sagte in der¬ selben höflichen ungarischen Art und Weise und ein Kreuz schlagend: „Gott gebe ihm die ewige Ruhe, er war ein gerechter, ein weiser und großer Kö¬ nig! Ehre allezeit seinem Andenken! Herr Zoltän Kärpathy de Kärpath de Genere Zoltän, ich erbitte mir die Ehre, mein Gast zu sein! So schritten wir auf das Schloß zu, voran der Vordermann der Bür¬ gerwehr, der Schonda Franz, dessen Ernst und feierliche Miene und die Wich¬ tigkeit seines Auftretens meine Lach¬ muskeln ganz unbändig reizte, dem Herrn Gesandten aber gar wohl zu behagen schien. Bis „ „ 15. Oktober 1490 * * * heute bin ich nicht dazu gekommen, über das, was in und um Stadt Steyr vor¬ gekommen, Aufzeichnungen zu machen. Es ist viel geschehen und ich hatte so viel zu tun, war so erregt, so müde; nichts als Kampf, Jammer und Elend, nur trösten, helfen, aufrichten ... Daß der Tod des ungarischen Kö¬ nigs den Kampf um Steyr beenden werde, hat sich nicht bewahrheitet. Es tobte der Krieg vor unseren Mauern weiter und wir gerieten immer ärger in Not und Elend. Die Kappenfuß Anna ist zur Pflege der Kranken und Verwundeten mit vielen Frauen und

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