Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1912

100 was da los sei. Und da geschah etwas, was der Sache eine unerwartete Wen¬ dung gab und den Wirtshausstreit über¬ mütiger Gesellen in einen Vorteil zu¬ gunsten der ohnehin arg zusammenge schmolzenen Verteidigerschar umwandelte. Unser hochwürdigster Herr Erz¬ bischof, der rastlos überall selbst nach¬ ieht und anordnet, was notwendig ist, ins war auf einem solchen Schaugang Ennsdorf gekommen, hatte dort den Lärm der Zecher vernommen und der Entwicklung der Dinge unbemerkt zuge¬ hört. Nun schien es ihm an der Zeit, einzugreifen und stand da plötzlich vor den Streitenden. Der Wirt bemerkte ihn zuerst und riß mit einem schreckhaft ge¬ murmelten: „Der hochwürdigste Herr Erzbischof — Verzeihung,“ sein Käppchen vom Kahlschädel und stand ganz zer knickt und zerknirscht da, aber auch die eben noch so lustigen Gesellen waren stumm und kleinlaut geworden und war¬ teten, mit den Hüten in den Händen auf eine Ansprache seitens des hohen Herrn, ja der übermütige Schonda Franz hatte in der Eile sogar die Zipfelmütze, so er unter dem Hut trug, wie es bei den Rauchfangkehrern der Brauch ist, mitab¬ gezogen und tauschte in der Verlegenheit Hut und Zipfelmütze aus einer Hand in die andere. Der Herr Erzbischof ließ sich nun vom Wirt Ursache und Hergang des Streites erzählen und der Schonda Franz bestätigte mit einem zeitweilig ein¬ geworfenen: „Jawohl, so ist es,“ oder: „Richtig, der Wirt ist ein braver Mann“. „Lügen ist vom lieben Gott verboten“ u. dgl. die Erzählung seines Gegners. Dem Herrn Erzbischof, der anfangs ein gar strenges Gesicht hatte, wurde ichtlich freundlicher und über sein ede geschnittenes Antlitz huschte gar oft so etwas wie ein Lächeln. Aber er blieb ernst, selbst als er den Schalk aus der ganzen Sache hervorlugen sah und end¬ lich sagte er mit großer Ruhe: „Wohl ist die Geschicht' nit arg und für gewöhnliche Zeit ohne viel Be¬ lang, aber bei Feindesnot in Uebermut die Zeit vertrödeln, ist wohl einer Strafe wert.“ „Jawohl, hochwürdigster Herr Erz¬ bischof,“ fiel der Franz da schnarrend ein, „wir sehen ein, daß wir gefehlt haben und bitten um eine gnädige Straf'!“ „Gut, gut, unterbrech mich nit, erwiderte der Herr Erzbischof gleich¬ mütig, „du, Wirt,“ er wandte sich zu diesem, „zahlst zehn Goldgulden Strafe beim Zahlmeister der Bürgerwehr, da¬ mit du merkst, in Hinkunft keine Gäste zum sich betrinken zu verleiten und die Gäste zu vermahnen, wenn es genug ist.“ „Und Euch, Ihr Bierbankgesellen,“ wandte er sich zu den Rauchfangkehrern, „will ich Arbeit verschaffen, daß Ihr in Bälde das Saufen sollt verlernen. Der Rauchfangkehrer haben wir genug in un¬ serer wackeren Stadt Steyr. Ihr tretet sogleich in die Bürgerwehr als eigene Rotte ein, der Schonda Franz soll Euer Vormann sein und wird sich mit Euch beim Stadtmeister, unserm getreuen Herrn Hans Köll, noch heut vormittags vermelden. Und du, Franz, der du jetzt warst der Vor¬ mann in der Schelmerei, hoff ich mir, wirst auch ein Vormann sein im Streit und Kampf und wünsch ich immer nur, von Dir zu hören im blutigen Rin¬ gen: Der Franz ist schon da hast mich doch verstanden?“ „Jawohl, verstanden, hochwürdigster Herr Erzbischof,“ sagte darauf der Franz und richtete sich stramm in die Höhe, „wir danken für die gnädige Straf', die für uns eine große Ehr wird sein der liebe Gott verläßt keinen Deut¬ schen und wird mir helfen, ist es ernst, als der Erste auch schon da zu sein! Rotte — marsch!“ Und die neue Rotte der Bürger¬ wehr?) rückte dröhnenden Schrittes, dem *) Die Bürgerwehr in Stepr war in Rotten zu 6 bis 20 Mann eingeteilt, der Befehlshaber einer solchen Rotte hieß Vormann.

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