Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1912

98 helfend, hat er doch der Stadt, die „ durch die langjahrige Ungarnot er¬ schöpft, kein Geld besitzt, wiederholt schöne Summen geschenkt und bei den Adeligen viel Geld für den kaiserlichen Herrn, die Truppen und die Stadt Steyr förmlich erbettelt. Dies ist ein großer Trost für uns, die wir schon so lange zu kämpfen und zu leiden haben. Ich bin kaum noch in meiner Kirche zu finden und habe eben Zeit, alle Tage sehr früh am Altare der hl. Agydi und Kolomanni das hl. Me߬ opfer darzubringen*) und diesen starken Helfern in der Not um ihre Fürsprache beim Lenker der Welten zu bitten, denn wir haben Verwundete und Ster¬ bende genug in der Stadt, denen ich geistlichen Trost zu bringen habe und meine Pflichten als Armenvater mehren * sich stündlich. Wie ich dies hier aufzeichne, kommt eben unser Meßner, eine kreuzbrave Haut, der in seinen wenigen, vom Kir¬ chendienst freien Stunden als Stuckmann beim Pfleger im Schlosse drüben beschäf¬ tigt ist und die Geschützbedienung frei¬ — wahrlich, eine seltsame willig leitet Verquickung von Gottesdienst und Her¬ rendienst bei diesem Manne, aber hilf, was helfen kann! Die Stadt ist sehr lebhaft und in den engen Gassen ein ununterbrochenes Gehen und fast immer ein starkes Ge¬ dränge und gar oft hört man nicht weit drunten an der Enns Gewehrgeknatter, Brände lodern auf und vom Tabor¬ berge, wo ich auf dem Wachhausturm zuweilen beobachte, gewahre ich oft, wie die Ungarn in den Bauernhäusern plün dern und Weiber, Greise und Kinden gefangen nach Ernsthofen schleppen, aber unser tapferer Richter Köll ist mit seinen *) Die jetzige Ofarrkirche wurde 1443 zu bauen be¬ gonnen und 1522 vollendet, war aber 1400 schon bedacht und bis auf das Innere fertig. **) Pater Michael Forster, Benediktiner aus Garsten war Pfarrer in Stadt Steyr, um diese Zeit, wie lange, ist nicht festzustellen, sicher ist nur, daß er 1489 und 1490 in Steypr Pfarrer war Reitern oft wacker hinter den Räubern her und nimmt ihnen gar oft die Beute wieder ab. 9. April ... Die Ereignisse " * überstürzen sich und ich habe so selten Zeit zum Aufzeichnen derselben. Wie gern wollte ich das, schon deshalb, um in friedlichen Zeiten dereinst sich ein Bild von jenen Leiden vergegenwärtigen zu können, die wir durchgemacht haben. Haben? Gott weiß es allein, ob wir alles glücklich überstehen! Alles Leid, das die alte Eisenstadt Steyr jetzt seit einigen Jahren durchgemacht, geht von den Tettauer Schanzen*) aus, dort ist aller Uebel Anfang, von dort aus sind wir jetzt vollständig durch die von da aus herumstreifenden Truppen von aller Welt abgeschlossen und eine Verbindung nur auf Schleichwegen irgendwohin möglich. Der erzbischöfliche Pfleger, der rote Herr v. Krabath hat Behamberg und St. Michael bei Seitenstet¬ ten befestigt und besetzt und verwehrt den Ungarn mit Hilfe der Stadt Stey¬ rer Bürgerwehr und einiger kaiserlicher Truppen den Eingang in das Ennstal, der Tettauer dagegen hat die Burg Schiffereck“) erobert und so die Gleinkerebene an sich gebracht. Der Landtag ist in Linz zusammen¬ getreten, der Kaiser†) und der römische König+) sind allda und haben an den *) Im Nov. 1485 schon setzte sich der ungarische Heerführer Wilhelm Tettauer bei Ernsthofen fest schlug eine Brücke über die Enns und errichtete zu beiden Seiten des Flußes ein befestigtes Lager. (Tabor wurde ein solches damals immer genannt. Dieses Lager ist nicht zu verwechseln mit jenem, das einige Jahre frühe am heutigen Tabor genannten Hügel stand und von wo der Ort heute noch Tabor heißt.) Die Befestigungen Ernsthofen und Dorf an der Enns hießen vom Anfang an nach ihrem Erbauer „Tettauerschanzen“. Sie sind am rechten Ennsufer noch deutlich erkennbar, hier fährt die Bahn durch und senken sich die Umfassungslinien, schön gewellt, vom Schienenstrang zur Enns hinab. **) Eine halbe Stunde außerhalb Uronstorf. Beute nur weniges Gemäuer noch vorhanden. Wurde von den kais. Truppen rückerobert, angezündet und gänzlich zer¬ (1489) stör *) Kaiser Friedrich IV. regierte vom J. 1459 bis 1495 Er war in beständigen Geldnöten, daher sein Wirken meist seine Geldsorgen aufhoben. Er hat im Stephans¬ dom in Wien sein Mausoleum. †]) Kaiser Max I., der „letzte Ritter“. 1495 bis 1519 wo er in Linz starb. Er wurde in Wr.=Neustadt be¬ graben

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