Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1912

90 gefällt. Am 10. November 1910 war Graf Tolstoi heimlich, ohne Abschied, ohne Gruß —wie es scheint bereits als fieberkranker Mann — von seiner Familie geschieden, „um die letzten Tage seines Lebens in Ein¬ samkeit, fern von jedem Luxus zu verbrin¬ gen“ Wenige Tage später fand man ihn im Schamardinsky=Frauenkloster im Gou¬ vernement Kaluga zum Besuche seiner Schwester Maria Nikolajewna, die dort seit 12 Jahren Nonne war. Am 17. November lag er an einer Lungenentzündung schwer erkrankt im Hause des Stationsvorstandes von Astapowo, einer kleinen russischen Eisen¬ bahnstation. Am 20. November ist er in dieser seiner letzten Zufluchtsstätte ver¬ schieden. Graf Leo Tolstoi entstammte einem weitverzweigten russischen Adelsgeschlechte und war am 9. September 1828 auf dem Familiengute Jasnaja Poljana, Kreis Krapiwka des Gouvernements Tula, ge¬ boren. Was Graf Leo Tolstoi für Rußland, für sein Volk, für die russische Literatur bedeutete, ist zu sagen wohl überflüssig. In der Weltliteratur wird der Dichter der „Anna Karenina“ der „Kreutzersonate“ der „Auferstehung“, der „Macht der Finster¬ nis“ unsterblich leben. Am 4. März 1911 fand in ganz Ru߬ land die festliche Feier des 50jährigenJu¬ biläums der Aufhebung der Leibeigenschaft durch Alexander II. im Jahre 1861 statt. Aus diesem Anlaß wurde auch das von 51 Bauerndeputierten der Reichsduma im Gebäude der Duma zu Petersburg er¬ richtete und mit der Inschrift „Dem Czaren¬ befreier die dankbaren Bauernmitglieder der Reichsduma 1861—1911“ versehene Monument Alexander II. feierlich enthüllt. Schweiz. Am 30. Oktober 1910 starb im Appen¬ zeller Luftkurorte Heiden der Genfer Patriziersohn Henri Dunant (geboren 8. Mai 1828), der Begründer des „Roten Kreuzes“, im Alter von 82 Jahren. Seiner Geduld und Ausdauer in der Verfolgung eines großen und glücklichen Gedankens — die Neutralisierung des ärztlichen Militär¬ dienstes — ist die Genfer Konvention“ zu verdanken, die den Anfang zu so vielen großen internationalen Übereinkommen machte, ohne die man sich heutzutage die Zivilisation nicht mehr denken kann. Belgien. Am 14. November 1910 fand in Mon¬ calieri bei Turin die Trauung der Prin¬ zessin Klementine von Belgien mit dem Prinzen Viktor Napoleon statt. Es war dies der Abschluß eines langen Liebes¬ romanes, der erst nach dem Tode des Vaters der Prinzessin, König Leopold II. der Belgier, zum glücklichen Ende gelangen konnte, da sich dieser König der Ehe seiner Tochter mit einem Napoleoniden hartnäckig widersetzte. Der entthronte König Manuel von Portugal. Eine von den Liberalen und Sozialisten lebhaft angefeindete Schulgesetzvorlage des klerikalen Kabinetts Schollaert, welche den Zweck hatte, den Klosterschulen eine immer größere Bedeutung und Macht zu ver¬ schaffen, führte im Juni 1911 zu einer schweren Krise, die mit der — vom König verlangten und am 8. Juni 1911 erfolgten —Demission des mißliebigen Kabinetts endete, an dessen Stelle ein Geschäfts¬ ministerium Broquesville berufen wurde. Am 14. August 1910 brach in der Brüs¬ seler Weltausstellung ein großer Brand aus der einen erheblichen Teil der Ausstellungs¬

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