84 1894 Reichs¬ böhmischen Landtages, seit ratsabgeordneter. in der alten Am 23. März 1911 starb von allen Habsburger Residenzstadt, Wienern tief betrauert, Weihbischof Doktor Gottfried Marschall. Obwohl in Neudorf bei Staatz an der mährischen Grenze — am 1. November 1840 — geboren, war Dr. Mar¬ schall, der schon in früher Jugend nach Wien gekommen war, seinem ganzen Wesen nach ein echter Wiener. Verkörperte er doch in sich die besten Eigenschaften, aus denen sich der alte, schöne Charakter Wiens zu¬ sammensetzt: Gemüt, ein klares Denken, ein aus offenem Auge frei In=die=Welt=Hinein¬ schauen und echte Liebenswürdigkeit. Die Wiener hatten auch gehofft und erwartet, daß Dr. Marschall einst der oherste Kirchen¬ hirt ihrer Stadt, Wiens Erzbischof werden würde und auch der Kirchenfürst selbst hatte Hoff¬ — sich diesfalls — wohl berechtigte nungen gemacht. Als aber Ende 1909 dem Fürsterzbischof Wiens Dr. Gruscha in der Person Dr. Nagels ein Koadjutor mit dem Rechte der Nachfolge an die Seite gesetzt wurde, und es damit klar war, daß Doktor Marschalls Hoffen ein vergebliches gewor¬ den, da trug der greise Kirchenfürst schwer an dieser Zurücksetzung und — der Volks¬ mund sagte, er sei an gebrochenem Herzen gestorben. Es war dies auch wirklich, aber in anderem Sinne der Fall, denn das Bersten der Aorta hatte Marschalls Tod herbeigeführt. Am 1. April 1911 starb in Hetzendorf bei Wien als Professor im Ruhestande der ausgezeichnete Medailleur Josef Tauten¬ hayn, ein Künstler, der in die Wiener Me¬ dailleurkunst einen neuen, belebenden und verjüngenden Zug gebracht hat, und aus dessen Schule die große Mehrzahl der jetzt so tüchtig schaffenden und der be¬ rühmten Pariser Schule eine hocherfreuliche Konkurrenz bereitenden Wiener Medailleure hervorgegangen sind. Tautenhahn war am 5. Mai 1837 in Wien geboren worden. Am 18. Mai 1911 starb in Wien Gustav Mahler, der ehemalige Direktor der Wiener Hofoper, ein ausgezeichneter, wenn auch hie und da etwas willkürlich waltender Dirigent, ein eifriger und wohl auch erfolg¬ reicher, in der Behandlung des Orchesters hervorragender Komponist — neun Sin¬ onien, das Chorwerk „Das klagende Lied“ und viele Lieder bedeuten in dieser Beziehung sein Lebenswerk. In seiner Eigenschaft als Direktor der Hofoper, eine Stellung, die er als Nachfolger Jahns vom Oktober 1897 bis August 1907 inne¬ hatte, erwarb er sich fast ebenso viele An¬ hänger und Freunde als Gegner und Tadler. Erstere errang er sich wohl haupt¬ ächlich durch den Kultus, den er den Wagnerschen Musikdramen angedeihen ließ, letztere durch manch verfehlte Ex¬ perimente, so die rasch wieder beseitigte Tiefersetzung des Orchesters, durch seine stark nervös autokratischen Manieren, durch Konflikte mit dem Orchester und durch so manchen Fehlgriff in der Er¬ werbung von Novitäten, Neuengagements und Entfernung von Solisten — als er von der Hofoper schied, gab es im Stande der Solosänger so manche unerfreuliche Lücke. Mahler war am 7. Juli 1860 zu Kalischt in Böhmen geboren. Am 24. Mai 1911 starb zu Budapest Baron Desider Banffy, der Jahre hin¬ durch die Geschicke Ungarns als Minister¬ präsident (15. Jänner 1895 bis 26. Fe¬ bruar 1899) leitete und während dieser Zeit unter anderem auch die kirchen¬ politischen Gesetze unter Dach und Fach brachte. Ein Kernmagyare, verfügte er über zwei Eigenschaften, die ihn zu einer ausgeprägten Persönlichkeit machten, und das waren sein echter und unverfälschter Liberalismus und seine grenzenlose Ener¬ gie. Baron Desider Banffy, aus einer uralten, in der Geschichte Ungarns eine große Rolle spielenden Familie stammend, wurde am 28. Oktober 1843 in Klausen¬ burg geboren. Am 21. Juni 1911 starb in der Salz¬ burger Landes=Irrenanstalt der ehemalige Hofopernsänger Baritonist Josef Ritter. Während langer Jahre war Ritter ein ausgesprochener Liebling des Wiener Publikums und seit dem Abgang J. N. Becks wohl der hervorragendste Darsteller des Don Juan an der Wiener Hofoper. Zu seinen besten Rollen gehörte auch die Titel¬
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