Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1912

56 Lippen aufeinander, um nach kurzer Pause mit bebender, trauriger Stimme fortzufahren: „Deine und meine Existenz. Ja, Helene; weil du mir helfen sollst, hast du auch ein Recht, alles zu erfahren. Ich vergälle dir freilich alle Festfreude — aber wenn du bewußt der drohenden Gefahr in die Augen siehst, magst du dich wohl bemühen, sie abzuwenden. Seit einer Woche hab ich solche Verluste, daß ich vor dem Ruin stehe. Nun wirst du begreifen, daß ich das heutige Fest plötzlich vergessen konnte. Ich bin schuldlos an dieser schrecklichen Lage. Einige große Häuser, die falliert haben, ziehen mich mit hin¬ unter. Ich kann mich nur retten, wenn sich mir eine starke Hilfsquelle eröffnet, und die wird mir durch Herrn Gei¬ mann geboten. Sein Vater war, wie ich dir bereits früher sagte, mein Jugendfreund. Als dieser vor Jahren vom Schlag getroffen und halb gelähmt wurde, übernahm der ältere Sohn das väterliche große Geschäft. Die beiden Brüder vertrugen sich nur um der Eltern willen. Der ältere Bruder, ein vollendeter Geschäftsmann, mag den jüngeren, der ein halber Gelehrter ist, nicht leiden. Nun soll aber der Jüngere, einem Wunsche seines verstorbenen Vaters zufolge, sich ebenfalls dem Ge¬ schäft zuwenden. Gemeinsame Arbeit mit dem Bruder behagt ihm nicht, da¬ rum löst Gerhard sein Vermögen vom Geschäft des Bruders ab und hat die Absicht, es in mein Geschäft zu stecken. Er will sich aber derzeit noch nicht kauf¬ männisch betätigen, sondern noch zwei bis drei Jahre lang fremde Länder be¬ reisen. Unterdessen hab ich Zeit, mich mit seiner Einlage wieder emporzu¬ arbeiten. 2„Unterdessen hast du Zeit — ja!“ sprach Helene langsam nach. Sie hatte aufmerksam zugehört; mit blassen Wan¬ gen und zuckenden Lippen stand sie da. Nun hob sie den Kopf, ihr Blick senkte sich flackernd in des Vaters Augen während es sich schwer von ihren Lip¬ pen rang: „Wenn du dich aber nicht wieder aufraffst, dann — dann, Papa, bist du ein Betrüger und — ich bin deine Helfershelferin! Dann haben wir einen vertrauenden Mann schurkisch um sein Hab und Gut gebracht. Das aber könnte ich nicht ertragen, Papa! Griftner schüttelte den Kopf; und jetzt klang seine Stimme ernst und fest: „Der Fall ist ausgeschlossen, Helene! Mein Geschäft ist alt und gut In einigen Jahren werde ich bei ver¬ doppelter Anstrengung wohl ein Drit¬ tel der Summe eingebracht haben dann will ich Gerhard alles sagen, und er wird Geduld haben, weil ich ihm die Versicherung geben kann, daß sein Ri¬ siko gering ist. Helene bat mit halb erstickter Stimme: „Vertraue dich ihm doch gleich an, Papa, wenn du das Ver¬ trauen hast, ihm alles zurückzahlen zu können. Er wird dir den Betrag leihen und du hast keinen Betrug verübt.“ „Das verstehst du nicht", versetzte Griftner fast heftig. „Einem Manne der vor dem Ruin steht, wird niemand mit Tausenden beispringen, dem jedoch der sich wieder emporgearbeitet hat vertraut man schon. Ein Geständnis würde alles verderben.“ Helenes Gefühl sträubte sich gegen das, was der Vater von ihr begehrte. Sie stand minutenlang, schwer mit sich kämpfend, da, aber als sie in die Worte ausbrechen wollte: „Ich kann nicht, es ist unmöglich!“ und dabei ins Gesicht des Vaters sah, sprach aus dessen Augen ein so verzweifeltes Flehen, daß ihr Entschluß jäh sich wandelte. „Ich will versuchen, ob ich das, was du for¬ derst, kann!“ sagte sie, aber es war ihr dabei, als ersticke sie etwas Zartes, Süßes, das sich leise und scheu in ihr geregt. II. Helene Griftner und ihr Vater waren die Letzten, die sich auf dem Feste des Bankier Widner einfanden. Ein wahrer Blütenflor von reizenden Da¬ men zeigte sich im Gewoge der Fest¬ gäste. Mit Helene aber war keine an¬

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