Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1912

Die Jestkönigin. Von Fanny Kaltenhauser. I. mir bisher immer eingeredet, es seien keine Kummerfalten, die ich in den er Vorhang, der die Türöff letzten Tagen auf deiner Stirne ge¬ nung verdeckte, wurde zurück¬ * 6 sehen, sondern bloß kleine Geschäfts¬ *s geschlagen. Auf der Schwelle unannehmlichkeiten zögen diese Linien stand ein hochgewachsenes in dein liebes Gesicht, jetzt aber muß ich Mädchen, gleich einer plötzlich vom es glauben, du grübelst über unheilvolle Wind hereingewehten duftigen Blüte Dinge. Darf ich's nicht wissen, Papa? Den schönen Leib mit den weichen, sanf¬ Bin ich nicht dein einzig Kind, deine ten Rundungen umschloß ein creme¬ gute Kameradin, wie du mich seit farbenes Spitzenkleid, an dem das reiche Mamas Tod so oft und gerne nennst? Spitzengekräusel graziös niederfloß. Sag mir's doch, Papa! Aus dem liebreizenden, weichgerundeten Griftner schüttelte den Kopf. „Wa¬ Gesicht schauten die lebensprühenden rum soll ich dein frohes Herz damit be¬ blauen Augen einen Moment mit lasten? Freu' dich deiner Jugend, so suchendem Blick. Dann trat das schöne lange dir Schönes geboten wird!“ Geschöpf mitten ins Zimmer und ries „Nein, Papa, damit laß ich mich nicht mit der Stimme des Erstaunens: „Ja abspeisen!“ versetzte Helene entschieden, aber, Papa, was ist denn das? Ich voll schwerer Besorgnis um den Vater. warte und warte, du aber bist noch nicht „Kann ich dir helfen?“ einmal angekleidet!“ Wieder legte Griftner die Hand an Die Worte klangen an das Ohr des die Stirne, dann sah er sie unter der graubärtigen Mannes, der da tief in vorgehaltenen Hand mit düsterem Blick Gedanken versunken am Schreibtisch an. „Ja, beistehen könntest du mir saß. Er fuhr auf. „Helene! Was ja, schon! Ich dachte schon einmal daran, was möchtest du denn? aber —“ er stockte einen Moment, fuhr Diese schlug die Hände zusammen. aber dann hastig, wie sich selbst über¬ „Aber, Papa, wir müssen doch zu Wid¬ redend, fort: „Und wir müssen doch ners fahren! Hast du das vergessen? alles tun, was wir können! Es muß Und nun bist du noch nicht im Frack. sein!" Er erfaßte Helenens Hand. „Icl Ja, wo sind denn deine Gedanken bitte dich um etwas, mein Kind. Wenn Hier sicher nicht, sonst hättest du schon wir heute Herrn Geimann auf dem mein Ballkleid bewundert.“ Feste treffen, so sei recht freundlich zu Ewald Griftner legte eine Hand an ihm. Wir müssen ihn an uns zu fesseln die Stirn und sah verträumt vor sich suchen. Wenn er dir auch nicht gefallen hin. Dann glitt ein schmerzliches Lächeln sollte, so tue es um meinetwillen und um seinen Mund, und er richtete den sei liebenswürdig!“ Blick auf seine Tochter. „Ja, Lenchen, Helene hatte den Blick gesenkt. jetzt kann ich mich schon darauf besinnen, „Hängt so viel von ihm ab? Was hast daß wir das große Ballfest mitzumachen du mit ihm, Papa? Ich kann doch dem haben. Ich hatte es eben nur in den Mann, den ich erst seit einer Woche letzten Stunden vergessen. kenne, nicht auffällig schön tun! Wie Seine Tochter staunte. „Vergessen? denkst du dir denn das, Papa?“ Wie kann man so etwas vergessen, Papa?“ Sie trat rasch näher. Die Hand Krampfhaft preßte Griftner Helenens auf des Vaters Arm legend, sagte sie Hand und sagte in heiserem Ton: „Du besorgt: „Papa, dir beschwert etwas mußt, Helene, du mußt! Es steht viel das Gemüt, was ist es? Ich habe es auf dem Spiele!“ Er preßte jäh die

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