Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1912

darf als seine Amati, die Schuldscheine einlösen und die Summe als Hypothek auf Schloß Greifenstein deponieren zu dürfen. Tiefe Stille folgte diesen Worten, da traten die beiden Damen ein. Die stolze Gestalt des alten Grafen stand regungslos, traurig war der Blick seiner Augen, als er erwiderte: „So zart Sie mir auch Ihr Anerbie¬ ten stellen, mein Herr, die Ehre ver¬ bietet mir es, anzunehmen, Schloß Greifenstein ist eine Ruine und Sie werden wissen, daß man auf Ruinen keine Hypothek aufnehmen kann.“ „Nun, Herr Graf,“ begann jetzt der Spielmann, „so wissen Sie denn, daß ich ein Recht habe, Ihnen dies Anerbie¬ ten zu machen, auch ich kann nicht wün¬ schen, daß der Stammsitz der Greifen¬ steine in fremde Hände komme, denn auch mir gebührt der stolze Name, ich bin der Sohn Ihres Bruders, des ver¬ schollenen Grafen Leo, was Ihnen diese Dokumente beweisen werden. Mit diesen Worten reichte der Geiger dem Grafen eine Mappe hin. Tiefes Schweigen herrschte; erst nach gerau¬ mer Zeit sagte der erschütterte Graf, den Neffen umarmend: „Meine gestrige Ahnung hat mich nicht getäuscht, dein Anblick hat die Er¬ innerung an meinen Bruder wach¬ gerufen. Auch Graf Clemens, der der Unter¬ redung beigewohnt hatte, begrüßte den Vetter aufs herzlichste. Gabriele war im Innersten bewegt. Als der Vater, die Hand auf ihren Scheitel legend, sprach „Wir haben deine Verlobung rück¬ gängig gemacht, du sollst nicht geopfert werden. Da wandte sie sich zu Clemens und flüsterte: „Wenn der Retter nicht erschienen wäre, wäre es jetzt an der Zeit, zum Giftbecher zu greifen; nun sind wir dem jähen Tod entgangen. Seligkeit erfüllte ihr Herz, als ihr 98 51 klar ward, daß sie weiter als Gräfin Greifenstein auf der Burg weilen dürfe. Sie trat vor den Vetter: „Weißt du noch, Adrian, damals auf der Heide, als du vor mir standest und mich in deine Arme nahmst, um mich über ein Stück morartigen Weges zu tragen, damals schon mußte ich dich lieben, ich konnte nicht anders, du hattest meine Seele an dich gerissen, ich konnte nicht mehr von dir lassen.“ Ihre Worte erstarben in leisen Schluchzen, der bleiche Spielmann aber jubelte und jauchzte so hell wie die zu Klänge tönten, die er seiner Amati entlocken wußte, und vor die Weinende tretend, hob er sie frohlockend empor. Die Grafen Kurt und Clemens sahen verwundert darein, sie wußten die letzte Szene nicht zu deuten. Baronin Steinau aber las in der Vergangen¬ heit, freute sich der Gegenwart und blickte prophetischen Auges in die Zukunft Und die Jahre schwanden dahin. Die Burg hat sich in alter Pracht erhoben, gleich einem Phönix ist sie aus Schutt und Trümmern in Herrlichkeit erstan¬ den und das schönste Glück waltet in ist ihren Hallen. Gräfin Gabriele Adrians Gemahlin geworden, Graf Kurt ist gestorben mit dem seligen Ge¬ danken, daß sein edles, altes Geschlecht zu neuer Blüte erstanden ist, denn frohe Kinderstimmen erfüllen die Räume. Graf Clemens ist unvermählt geblieben, aber auch er ist glücklich. Sein großes wissenschaftliches Werk: „Fauna und Flora des Moors und der Heide“, an dem er jahrelang mit nimmermüdem Fleiß gearbeitet hat, hat Anerkennung gefunden, sein Name wird mit den Koriphäen der Wissen¬ schaft genannt. Baronin Steinau weilt oft in den gastlichen Mauern der Burg bei der schönen Moorgräfin, wie diese nun im ganzen Lande genannt wird und der alte Kunz ist in rührender Treue seinem Herrn drei Tage nach dessen Hinscheiden im Tode gefolgt. 4*

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