50 Sie hob die Hände, als wolle sie mit ihnen ihr bleiches Angesicht verhüllen, da durchbebte ein Schauer ihre Gestalt, als sie den Verlobungsring erblickte. „Weg mit dem Ringe, er ist eine Kette, an die man mich schmieden will.“ Gabriele, beruhige dich, versuche zu schlafen. „Ja, ja, ich werde schlafen, aber noch darf ich nicht, die unbezahlten Schul¬ den lasten auf mir und — der Herzog, der ist reich, er wird uns retten, denn er hat noch übrig für ein käuflich Weib.“ Nun richtete sie sich auf und flüsterte weiter: „Sehen Sie die stolzen Ahnenbilder? Der dort, der ernste Mann mit dem Herrscherblick war allgewaltiger Mini¬ ster und jener mit den vielen Ordens¬ sternen auf der Brust führte eine Her¬ zogin heim, seine Kinder spielten mit Diamanten und wir, Clemens und ich, wir spielten mit dem Schutt zusam¬ mengestürzter Mauern.“ Gabrielens Stimme erstarb, sie wurde ruhiger und schlummerte endlich ein. Geräuschlos eilte Baronin Steinau durch die nun leeren Säle, die letz¬ ten Wagen rollten eben in den däm¬ mernden Morgen hinein, aber das Schloß war noch hell erleuchtet. Die Dienerschaft, die für das Fest gemietet war, hat das Haus verlassen — vorüber war die Herrlichkeit. Der alte Kunz trat Frau von Steinau entgegen, er legte den Finger an die Lippen und flüsterte ängstlich: „Der Mann ist da!“ „Welcher Mann? „Der Mann mit den Schuldscheinen, Euer Gnaden“, sagte der Alte mit trübem Lächeln. Die Baronin näherte sich der Park¬ tür, da hörte sie Stimmen, die sie zu kennen schien. „Sie sind wohl einer der Gäste, haha, wohl gar der Bräutigam selber? Da könnte ich ja im Vorbeigehen gleich heute meine Schuldscheine präsentieren, sie lauten auf hohe Summen, aber für einen Herzog sind sie doch nicht zu hoch. Aber was rede ich denn! Verzeihung, Sie sind nicht der Herzog, der hat weiße Haare und die schöne Gräfin gol¬ dene. Schauen Sie nicht so finster, weil ich die Braut schön finde, viel zu schön für den alten Bräutigam. Soll ich Ihnen sagen, warum die Gräfin den alten Engländer heiratet? Weil sie als Herzogin ganz in der Stille die Schuld¬ scheine einlösen will, weil sie das alte Schloß stützen will, damit es nicht über dem greisen Haupte des Vaters zusam¬ menbreche. Ja, damit der alte Graf und der weltfremde Bruder nicht aus diesen Mauern vertrieben werden, legt sich die junge Gräfin auf den Opfer¬ altar. Ich bin nur ein einfacher Mann, aber solch eine Tochter würde mich zum stolzen Manne machen. Der Spielmann war es, der nun fragte: „Sind die Schuldscheine, die zu prä¬ entieren sind, alle in Ihrem Besitze? „Jawohl, mein Herr!“ „Gut, ich bin vom Herrn Grafen be¬ auftragt, die Angelegenheit zu ordnen. Hier ist meine Adresse; am Verfalls¬ tag legen Sie mir die Scheine vor das Schloß betreten Sie nicht mehr. Das Gespräch verstummte, man ver¬ nahm nur noch das devote Gemurmel des Maklers und sah die Gestalt des Geigers, wie in tief schmerzliche Ge¬ danken versunken, am Portale lehnen. Matt schien die Sonne durch graue Wolken, als Gabriele gegen Mittag erwachte. Geräuschlos, wie eine Nacht¬ wandlerin, eilte sie in ihrem weißen Morgenkleide auf die Tür zu. „Gabriele!“ rief die Baronin, ihr nacheilend und die Hand auf ihren Arm legend. „Ich will zum Vater und zu Clemens gehen, es ist höchste Zeit für uns.“ Die Komtesse geht weiter, vor den Gemächern des Grafen Kurt hält sie an, eben will sie die Tür öffnen, da bleibt sie lauschend stehen. Der Vater ist nicht allein, des Geigers klangvolle Stimme schallt deutlich heraus: „Ich bin gegenwärtig nichts als ein wandernder Geiger, aber ich habe viel überflüssiges Geld, gestatten Sie dem fahrenden Spielmann, der nichts be¬
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2