48 Stunde.“ Gabriele schien aus einem schweren Traum zu erwachen, ihre Ge¬ stalt richtete sich auf, durch das eben noch marmorblasse Gesicht begannen die Wellen des Blutes zu strömen. Sie schlug die Portieren zurück und trat scheinbar ruhig unter die Gäste. Der letzte Geigenstrich verhallte eben, das Auge des Meisters fiel auflodernd auf die bräutliche Gestalt. Erst allmäh¬ lich löste sich der Bann, der die Zuhörer gefesselt hatte. „Wer mochte der Mann sein, unter dessen Bogen der Amati solche Weisen erklangen?“ schwirrte es durch den Saal. Adrian hatte diese Worte vernom¬ men, er lächelte schwermütig, und zum Herzog gewendet, der ihn gerade for¬ schenden Blickes betrachtete, sprach er: „Der Mann ist nicht einmal Geiger von Beruf. Wie es kam, daß ich zur Violine griff, will ich Ihnen, der mich schon so oft gefragt hatte, heute erzählen. Ich entstamme“, fuhr er fort, „einem der edelsten Geschlechter dieses Landes. Mein Vater war der zweitgeborene Sohn seiner Eltern. In der Residenz lernte er ein bürgerliches Mädchen kennen und lieben, er wollte es freien doch mein stolzer Großvater versagte die Einwilligung und drohte mit seinem Fluche. Da verließ mein Vater die Heimat und ging nach Holland. Er hatte immer Sympathien für dieses Reich gehabt, da Großmutter die Tochter eines vornehmen Mynheern war. Er schwur sich selber, sein Vater¬ land nicht mehr zu betreten. In der Heimat seiner Mutter gelang es ihm, ein bedeutendes Vermögen zu erwer¬ ben, auch heiratete er eine reiche Erbin, die aber nach kurzer Ehe starb. Nach dem Tode meiner Mutter erwachte in meinem Vater die Sehnsucht nach seinem Vaterlande, doch sein Schwur hielt ihn von einer Reise dahin zurück. sein Verlangen aber wurde so gewaltig, daß er in tiefe Schwermut verfiel. Da griff ich zur Geige und wurde ihm ein David, die Klänge der Saiten bannten die Schwermut des Vaters und halfen auch mir über Schmerz und Leid, Ein großes Talent hatte in mir geschlum¬ mert, ich vermochte alle Gefühle, die mein Herz bewegten, durch meine Geige zum Ausdruck zu bringen. Als mein Vater starb, litt es mich nicht länger in Holland, ich wollte die Heimat meiner Ahnen, die Burg meiner Väter, sehen und meine Verwandten aufsuchen, ich weiß nicht, warum ich das letztere noch nicht getan habe. Mein Vater hatte seinen Namen abgelegt und nannte sich van der Gracht. Was soll ich weiter er¬ zählen? Ich bin reich, sehr reich und doch arm, da es keinen Menschen gibt, der mit Liebe an mir hängt. Einsamen Herzens wandere ich dahin, meine Geige ist meine einzige Freundin, alles. was meine Seele bewegt, wird ihr kund und offenbar. Das Auge des Spielmannes suchte Gabriele, die saß regungslos und er sprach weiter: „Ich wanderte mit meiner Amati von Stadt zu Stadt, immer unter anderen Namen. □ Ich spielte vor Fürsten und Bettlern, einst am Hofe der Herzogin.... Der Erzähler stockte. „Aber bitte, fahren Sie doch fort, rief der Herzog, „nun kommt gewiß eine süße Erinnerung an eine ver¬ zauberte Prinzessin.“ „Erinnerung!“ sprach der Künstler wehmutsvoll. „Die Augen eines Kin¬ des stahlen mir das Herz aus der Brust und auf der nebelumsponnenen Heide zog ich dies Kind in meine Arme und in der Dämmerstunde flüsterte ich ihr zu: Du bist die Melodie meiner Lieder, die versöhnende Harmonie, die alle Dissonanzen meines Lebens löst. Das alles ist nun ein Gedicht, ein süßes, dunkles, verwehtes Gedicht, denn ich sah das Kind wieder im bräutlichen Ge¬ wand an der Seite eines anderen.“ Der Spielmann sagte die letzten Worte wie im Traume, er ergriff den Arm des ihn düsteren Auges betrach¬ tenden Herzogs, als müsse er sich stützen. Unfern stand der alte Graf, dessen Blicke die ganze Zeit sinnend auf den Zügen van der Grachts geruht
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