Baronin verstand das Mädchen, bewegt blickte sie auf die schlanke Gestalt, die nun auf der Causeuse ausgestreckt einige Minuten der Ruhe pflegen wollte, um die schwere Rolle, die sie auf ihre Schultern genommen hatte, vor den Augen der Welt zu Ende spielen zu können. Arme Gabriele! Das lichte Ge¬ wand schmiegte sich wie Wellenschaum um ihre Glieder und die Lippen lächel¬ ten ein Lächeln, das in die Seele schnitt. „Es ist wohl verboten, einzudrin¬ gen?“ frug da in fremdklingendem Deutsch eine Stimme. Es war der Herzog, der am Eingang stand. „Die Komtesse hat sich auf ein Vier¬ telstündchen zurückgezogen, sie fühlt sich angegriffen, es wäre gut, für heute Abend jede weitere Erregung von ihr fern zu halten“, antwortete Frau von Steinau. „Gewiß, “entgegnete der Herzog, „aber ich denke, die Geigenklänge Adrian van der Grachts sind eine Erregung so an¬ genehmer Art, daß ich meine Braut bitten muß, den Meister anzuhören. Ah, da scheint er schon spielen zu vollen“, fuhr der Herzog fort, die Blicke in den Saal wendend und auch schon im Gedränge verschwindend. Zerstreut folgte das Auge der Ba¬ ronin der nach den hohen Flügeltüren drängenden Menge. Das dort muß der Geiger sein, um den die Wogen der Ge¬ sellschaft fluten. Eine hohe, gebietende Gestalt, die ihr den Rücken zuwandte, ein stolz getragenes Haupt, von dem sie nichts sah als eine Fülle leicht gewell¬ ter, schwarzer Haare. Adrian van der Gracht sprach mit dem Herzog, die Ba¬ ronin war zu weit entfernt, als daß sie den Klang seiner Stimme hätte ver¬ nehmen können. Jetzt wandte sich der Künstler um und schritt, umdrängt von den Anwesenden, nach der Stelle des Saales, wo ein kleines Podium errichtet war. Man reichte dem Meister seine Amati, er lächelte und der volle Licht¬ glanz fiel von oben auf ihn herab. Ba¬ ronin Steinau mußte sich an dem Pfosten der Tür festhalten, dies blasse 47 Gesicht mit den kühnen Augen kannte ie, sie blickte wie im Banne nach dem Manne unter dem Luster, nun wußte sie bestimmt, daß der Herr vor ihr der Geiger aus dem Residenzschlosse ist. Ein Gefühl der Bangigkeit beschlich sie, sie wußte nicht, was sie beginnen sollte, aber sie hatte die unklare Empfindung, daß van der Gracht nimmer die Schwelle dieses Hauses hätte überschrei¬ ten sollen, wenn Gabriele nicht noch doch trostloser werden sollte. Könnte sie seine verhindern, daß das arme Kind Anwesenheit erfahre. Sie wollte dem Herzog nach der ersten Piece zuflüstern, daß die Braut zu angegriffen sei, um diese Musik anzuhören, und den Musiker selber wollte sie zu entfernen trachten. Im Saale war mittlerweile erwar¬ tungsvolle Stille eingetreten, jeder¬ mann harrte des ersten Tones. Die noch Augen des Künstlers überflogen ein einmal die Versammelten, es war solch forschender, suchender Blick, daß der Herzog, der ihm zunächst aß, fragte: „Wünschen Sie etwas, Myn¬ heer?“ Adrian hob das Antlitz, seine Lippen lächelten nicht mehr. „Ja, Herzog,“ sagte er, „ich will etwas, mich faßt ein seltsam Verlangen, ich will versuchen, mit meinem Spiele eine Seele für immer und ewig an mich zu bannen. Und wie er diese Worte ge¬ sprochen hatte, da hatte er auch schon die Amati an sich gepreßt und der erste Ton schallte durch den Raum, ein Klang, den nur eine Hand den Saiten zu entlocken weiß, und diesem einen Ton folgte die Melodie, die einst im Musiksaale der verstorbenen Herzogin erklungen war. Wild und bacchantisch ist die Weise, aus den düsteren Tönen kreischt manchmal das Evoe der Lebens¬ lust auf und dann wieder ein geister¬ haftes Rannen von klagenden Stimmen. Beim ersten Geigenstrich, den der Meister in die lautlose Stille hinein¬ schleuderte, zuckte Gabriele zusammen. Baronin Steinau eilte auf sie zu und flüsterte: „Sei standhaft, wie du es bisher gewesen bist, auch noch in dieser
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