42 Da murmelte Gabriele: „Ich weiß es nicht, er hat gesagt: „Ich komme und gehe wie der Sonnenstrahl und hinter¬ lasse keine Spur', und wie er das flüsterte, zog er einen Stift aus dem Gewand und schrieb vor mir an die Wand einen Namen. Die Buchstaben flimmten einen Augenblick vor meinen Augen, dann streifte seine Hand ver¬ löschend darüber, ich aber hatte doch gelesen und wie ich nun vor mich hin¬ lispelte „Adrian van der Gracht', da blickte er mich so seltsam an und sagte: „Du wildes Kind, den Namen schreibe ich einst mit Flammenschrift in dein Herz und du wirst nicht vermögen, ihn zu löschen.““ Gabriele schwieg auf¬ atmend. Ihr Kopf war zurückgesunken, und so lag sie mit geschlossenen Lidern lange Minuten, während Frau von Steinau Zeit hatte, sich in den wunder¬ lichsten Vermutungen zu erschöpfen, die doch alle wieder in nichts zerflossen. Sollte die Komtesse einen Roman ge¬ lesen und nun ein Kapitel erzählt haben Die Baronin betrachtete Gabriele aufmerksam. Wie eine Blüte, die sich plötzlich der Knospe entrungen, lag ihr Schützling da. Es war jenes Wunder, das sich in diesem Alter vollzieht, das Weib erwacht im Kinde und vermag sich doch nicht zu trennen von der seli¬ gen Kindheit und so verschmilzt der träumende Ernst der Jungfrau mit dem harmlosen Sinn des Kindes und das Ganze mutet uns an wie ein Märchen. Am nächsten Morgen kehrten die Damen in die Stadt zurück, die Baro¬ nin wollte keinen Tag mehr mit Ga¬ briele im Landhause weilen. Im Pen¬ sionat fand die Komtesse einen Brie aus Greifenstein. Bruder Clemens schrieb, die Stimmung des Vaters sei äußerst düster und es gebe nur ein Mittel, den alten Herrn wieder aufzu¬ heitern, das sei die Rückkehr der Toch¬ ter. Gabriele war von der Aussicht, in Bälde zu den Ihren heimkehren zu dürfen, entzückt, die Freude gab ihr die alte Spannkraft wieder. Zwei Jahre war sie nicht in Greifenstein ge¬ wesen, wie schnell waren sie vergangen. Drei Tage später brachte die Baronin die junge Dame zur Bahn. In dem Augenblick, als sich der Landauer in Bewegung setzte, ging der geheimnis¬ volle Geiger vorüber: Gabriele er¬ bleichte, ein Beben ging durch ihre Glieder. 3. Kapitel. Wieder war ein Jahr verrauscht! Bald nachdem die Moorgräfin die Re¬ sidenz verlassen hatte, war ihre gütige Protektorin, die Herzogin, nach kurzer Krankheit gestorben. Den Winter hatte die junge Dame bei einer Tante ver¬ lebt, deren Gemahl in einem benach¬ barten Staat ein Hofamt bekleidete Und wieder nahte der Sommer. Da bat Gabriele, Baronin Steinau möge sie auf Greifenstein besuchen. „Kommen Sie, schrieb die Komtesse, „ehe ich meinen Namen für immer mit einem andern vertausche. Die Baronin wußte die Worte nicht zu deuten. Wollte die Gräfin eine Ehe eingehen, die nur die Vernunft, nicht aber das Herz sanktionierte, oder wollte sie eine Stellung annehmen, die sie veranlaßte, den Namen zu wechseln: Frau von Steinau wußte nicht, welche von den beiden Möglichkeiten sie wün¬ schen, welche fürchten sollte. Die herz¬ liche Zuneigung, die die Baronin für Gabriele hegte, veranlaßte sie, der Ein¬ ladung alsbald Folge zu leisten. Der Zug, der die Dame nach Greifenstein bringen sollte, bewegte sich langsam im Vergleich mit den Gedanken und Ver¬ mutungen, die ihr Hirn durchwirbelten. In Pernberg war eine Stunde Aufent¬ halt. Die Baronin trat in den Warte¬ raum. Zwischen zwei Herren am Neben¬ tische entspann sich ein Gespräch, auf das Frau von Steinau nicht achtete; erst als bekannte Namen an ihr Ohr tönten, wurde sie aufmerksam: „Sehen Sie, vernahm die Dame „ich habe da ein Bündel Schuldscheine auf den stolzen Namen Greifenstein,
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