40 verwandt nach jener Stelle hin, wo die wilde Gräfin gestanden war. Baronin Steinau besaß in nächster Nähe der Residenz ein kleines, hübsches Landhaus, das einzige Besitztum, das ihr der verstorbene Baron als Erbe hinterlassen hatte. Zur Rechten des ein¬ stöckigen Gebäudes erstreckte sich ein flüsternder, harzduftender Tannenwald, zur Linken dehnte sich braunes Heide land aus, das in der Ferne mit dem Horizont zu verschmelzen schien und über das weidende Schafherden zogen, mitten drinnen lag ein See, in dem sich die goldene Sonne und der silberne Mond spiegelten und über dessen Fläche die Nachen der Städter glitten. Die Baronin, die es liebte manchmal ein paar Tage in ihrem Eigentum zu weilen, hatte diesmal die Moorgräfin, wie sie Gabriele zur Erinnerung an die Szene im Greifen¬ steiner Moor oft nannte, eingeladen, ie zu begleiten. Das Mädchen war in neuester Zeit verändert, etwas Stilles lag über ihrem Wesen, das auf einmal wieder von wilder Heiterkeit unter¬ brochen wurde. Auch heute zeigte Ga¬ briele eine ernste, beinahe düstere Stim¬ mung. Leider war auch der Tag recht trübe; als die Damen in der Villa an¬ langten, lagen über der ganzen Gegend graue Nebel. Trotzdem wußte Gabriele die Baronin bald ins Freie zu locken und als die Dame auf der Heide er¬ klärte, die Nebel gefielen ihr nicht, lachte die Komtesse und erwiderte, daß die Baronin die Schönheit der Nebel¬ schleier nicht zu würdigen wisse: „Sehen Sie, aus dem grauen Gewebe schaffe ich mir eine Tarnkappe, die mich unsichtbar machen wird.“ Und aus Gabrielens Scherzworten chien Wahrheit geworden zu sein. Wo war sie denn plötzlich? Die Baronin sah sich in der Runde um, keine Spur von dem Mädchen. „Gabriele!“ rief Frau von Steinau. Keine Antwort, Minuten vergingen, immer dasselbe Schweigen. Aber nun brach die Sonne durch das Gewölk, es wurde lichter auf der von Schemen belebten Heide und die Baro¬ nin sah in der Ferne eine Gestalt auf¬ tauchen. Nur eine? Nein, zwei Ge¬ stalten, sie schienen sich zu fliehen, zu suchen, sie schritten nebeneinander her, ie standen still und da war es, als zer¬ flössen beide eine Sekunde lang inein¬ ander, aber die Sonne verschwand neuerdings hinter den Wolken und wieder lag ein dunkler Mantel über der Heide. Die Baronin ging weiter und fand endlich Gabriele an eine schlichte Statue gelehnt, in Träume versunken, stehen. Als das Mädchen angerufen wurde, folgte es der Dame gesenkten Hauptes und als diese fragte, ob nicht jemand eine Strecke Weges neben ihr her¬ gegangen sei, schüttelte es den Kopf. Und der Baronin schwebte alles in so unklaren Umrissen, in so schwankender Beleuchtung vor Augen, daß sie an eine Täuschung glaubte. ge¬ „Hast du jemand vorübergehen 0 7 dem sehen außer uns forschte sie au aus, Heimweg einen Hirtenknaben während Gabriele voranschritt. der „O ja!“ erwiderte lachend Junge, die weißen Zähne zeigend„den führt Heidekobold habe ich gesehen, der die, die ihn nicht kennen, in der Irre herum, und wenn er angerufen wird, gibt er keine Antwort, aber der alte Professor, der immer aus der Stadt herauskommt, sagt, es sei der Nebel, der seine Schatten schafft und wieder zerstört, es gebe keinen Heidekobold.“ Im Landhause zurückgekehrt, fühlte sich Gabriele so müde, daß sie in ihr Zimmer ging, um auszuruhen. Die Baronin störte das Mädchen nicht, es dämmerte schon, als sie ihren Gast auf¬ suchte. Die Komtesse fuhr aus unruhi¬ gem Schlummer umher und sah die Baronin, die an ihrem Lager stand, mit großen Augen an. In den Mienen der mütterlichen Freundin mochte Ga¬ briele wohl Sorge lesen, denn plötzlich sagte sie schmeichelnd: „Sie haben sich um mich geängstigt, das war über¬ flüssig, ich kenne die Heide, wie ich das Moor kenne, dann starte sie ins Leere,
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