34 fenden wohl für ein Weilchen erwacht sein mögen. Aber warten Euer Gnaden nur noch kurze Zeit, wenn Exzellenz erst den großen Prozeß gegen die Seitenlinie gewonnen haben wird dann wird wieder alles in alter Pracht erstehen. Die Baronin betrachtete den Greis der den Glanz einer längst vergan¬ genen Zeit nicht vergessen konnte, mit¬ leidigen Blickes; stumm und in Ge¬ danken versunken folgte sie ihm. Vor den Greifen angelangt, die sich zu bei¬ den Seiten des Portals erhoben, wandte der Alte sich um und flüsterte geheimnisvoll: „Sie werden staunen, Euer Gnaden, was die hier“ er deutete auf die Greifen, „alles zu bewachen haben. Da drinnen herrscht noch die alte Herrlichkeit, genau wie bei dem Grafen Eberhard, dem Vater des jetzi¬ gen Herrn. Der Greis hatte recht, eine altertümliche, schwerfällige Pracht, die seltsam mit der Verwüstung draußen kontrastierte, zeigtendie Räume des Schlosses. Ein Stück Vor¬ zeit mischte seine ernsten Schatten mit dem Lichte der Gegenwart, das nur gedämpft durch die von verblichenen Samtvorhängen umhüllten Fenster blickte. Alte, prächtig geschnitzte Geräte standen da, kostbare Teppiche dämpf¬ ten die Schritte, Gobelins bedeckten die Wände und Ahnenbilder in den steifen Trachten verklungener Jahrhunderte, sahen aus schweren Rahmen nieder. Die Baronin beschlich ein Bangen, ihr Sinne waren betäubt von dem schwü¬ len Dufte, der durch die Räume schwebte, dazu hatte die Stimme des alten Dieners einen ganz eigenen Klang. „Sehen Sie hier,“ raunte der Greis, die Dame in einen Winkel füh¬ rend und auf ein großes Bild deutend, dessen treffliche Malerei durch ein Loch inmitten der Leinwand zerstört war, „wissen Sie, was hier geschah? Da kam Graf Leo aus der Residenz und brachte neue Anschauungen mit in das alte Feudalschloß. Diese Ideen wollten aber dem Vater nicht gefallen und als der Sohn einmal sagte: „Warum soll¬ ten wir den verblichenen Glanz unseres Hauses nicht mit bürgerlichem Gelde auffrischen, wenn dessen Besitzerin so liebreizend ist?“, da tat Graf Eber¬ hard einen Schlag mit seiner gewuch¬ tigen Faust gegen das Bild, das war die Antwort auf des Sohnes Frage. Graf Leo aber, der damals eine Bür¬ gerliche liebte, verstand die stumme Er¬ widerung gar wohl. Seit diesem Tage wurde er nicht mehr auf Greifenstein gesehen, er soll das Vaterland ver¬ lassen und sich nach Amsterdam, der Heimat seiner Mutter gewandt haben. Die Baronin gedachte der Frau Kommerzienrat Bergauer und glaubte, die Bürgerliche zu kennen, die Graf Leo dem Stolze des Vaters geopfert hatte. Der alte Mann entriß die Sin¬ nende ihren Betrachtungen. Er öffnete abermals eine Tür und begann: „Das ist das Wohngemach der verstorbenen Exzellenzfrau, die seit zehn Jahren tot ist, sie war aus fürstlichem Hause und eine wunderschöne Dame. Die Stand¬ uhr auf dem Kamin steht seit dem Tode der Gräfin, die Zeiger zeigen 12 Uhr 15 Minuten, genau die Zeit, in der die Burgfrau verschied.“ Die dumpfe Luft in dem Raum und die Reden des Alten beklemmten Frau von Steinau; sie bat, dem Grafen ihre Ankunft zu melden. Da verschwand der Diener hinter einer der Portièren, die Baronin starrte auf die regungslosen Zeiger und dachte: „Die armen Menschen, ihr Leben in der Gegenwart ist nur ein Träumen von der Vergangenheit,“ dann blickte sie um sich. In einer Nische bemerkte sie ein Gemälde, in dessen Betrachtung sie sich so vertiefte, daß sie erschreckt zusammenfuhr, als ein Geräusch von Tritten ihr Ohr erreichte. Die Dame wandte sich um und ein Mädchen voll wilder Grazie zeigte sich ihren Blicken, eine zierliche Elfengestalt mit rot¬ braunen Locken. Und als könne das reizende Kind vor ihr unmöglich ein anderes sein, als das, wegen dem sie die Reise unternommen hatte, rief sie:
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