Scharfblick der Vögel. Sie beobachtete seine Versuche, Marie für sich zu ge¬ winnen, und der arme Ignaz, der zum erstenmal empfand, was Liebe sei, hatte von da an böse Tage. Aber auch gegen Marie wandte sich der Zorn der Zigeunerin. Der Rückweg nach Hause und der nächtliche Gang ins Bad, den die Blumenverkäuferinnen stets ge¬ meinschaftlich unternahmen, wurde für die Unschuldige, denn sie hatte in ihren sanften und duldenden Weise durch nichts die Neigung des jungen Men¬ schen gereizt oder auch nur ermuntert ein dornenvoller Pfad. Ignaz selbst reizte die Leidenschaft seiner Verlobten, als welche sich die Zi¬ geunerin betrachten durfte, auf unbe¬ sonnene Weise. Bisher war es ihm nie eingefallen, die Mädchen zu begleiten, wenn sie heimkehrten. Seit einiger Zeit beeilte er sich, im Gasthof loszu¬ kommen und eine Viertelstunde Weges nach Eger mitzugehen. Es war zu deut¬ lich, daß die Zigeunerin allein nicht seine Bemühungen verursachte. Zwar forderte Ignaz sie zuerst auf, ihm ihren Korb zu überlassen, aber Ma¬ riens Habseligkeiten, vermehrt durch dieses oder jenes in Eger abzugebende Stück, bildeten doch stets den größten Teil seiner Bürde, und die Zigeunerin lehnte seit einiger Zeit mit finsterer Miene seine Handleistungen ab. Es lag nicht in ihrer Natur, durch Freundlich¬ keit und liebevolle Nachsicht den auf dem Wege der Treulosigkeit Begriffe¬ nen wieder zu seiner eingegangenen Verpflichtung zurückzuführen. Gleich allen urwüchsigen Menschen fand sie sie sann auf keine Vermittlung; Rache. Diese Gefühle wurden um so heftiger, als sie zugleich, durch jenen unerklärlichen Widerspruch der Natur, ihre Liebe für Ignaz steigen fühlte. Der Bursche erschien ihr in einem an¬ genehmeren Lichte, wenn sie ihn an eine andere Aufmerksamkeiten ver schwenden sah, deren sie selbst nie teil¬ haftig geworden war. Das Gefühl ihrer Herrschaft in dem kleinen länd¬ 27 lichen Zirkel hatte sie sonst befriedigt jetzt erwachte das Weib in ihrer Brust; sie fühlte sich verlassen. So spürt der Verwundete erst den Schmerz, wenn die Wunde erkaltet. ge¬ „Warum bist du nicht mit uns gangen, Ignaz, ehe die Blonde bei uns war?“ fragte sie einmal plötzlich den arglosen Ignaz. Ignaz wußte keine Antwort. Die Zigeunerin sah, wie weit das Übel vor geschritten war. „Du sollst Ignaz nicht deine Sachen geben; ich will nicht, daß er uns begleitet!“ sagte sie einige Tage darauf zu Marie, mit ihr eine Strecke hinter den anderen zurückbleibend. „Was kann ich dafür, daß er sich an¬ bietet; er trägt deinen Korb so gut als den meinigen. Du hast mir nichts zu befehlen, und wenn du nicht haber willst, daß er uns begleitet, so sag' es ihm selber; er ist ja mit dir verspro¬ chen und nicht mit mir!“ Die kleine Marie Holzinger sprach das nicht ohne einen Anflug von weib¬ licher Schelmerei. Es kam ihr nicht ungelegen, zum erstenmal die herrsch süchtige Zigeunerin demütigen zu kön¬ nen. Diesmal kehrte Ignaz bald um und die Mädchen legten schweigsamer als sonst den Heimweg zurück. Wider ihre Gewohnheit blieb die Zigeunerin die letzte der kleinen Karawane. Sie ant¬ wortete auf die Fragen der übrigen nur einsilbig, und als sie aufgefordert wurde, ein zeitverkürzendes Lied zu singen, schlug sie es in einem heftigen Ton ab. Die Mädchen wichen ihr aus sie fürchteten die Zornausbrüche ihres ungebändigten Naturells. Seit diesem Tag erschien ihnen die Zigeunerin, wie sie später erzählten, wie umgewandelt. Sie herrschte die Mädchen nicht mehr an wie sonst, aber sie verwandte keinen Blick von Ignaz und Marie, wo diese von ungefähr zusammentrafen. Ihr Handel wurde vernachlässigt und je zierlicher Mariens Gewinde und Kränze schimmerten, desto verwilderter schienen die Blumenvorräte der Zigen¬
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