26 Der Bursche hieß Ignaz und stand bei einem Gasthofhalter im Dienst. Er hatte die Zigeunerin kennen gelernt, als sie zu den im Gasthof wohnenden Personen Blumen trug. Seit dieser Zeit fand sie und ihre Gefährtinnen in den Hintergebäuden Nachtquartier und Obdach, wenn sie eine Nacht von ihrem mühseligen Broterwerb ausruhten oder Schutz vor der Witterung suchten. Dem Wirte bezahlten sie diese Erlaubnis durch kleine Handdienste und Ausrich¬ tung von Bestellungen nach Eger oder Mitnahme von Paketen und Überbrin¬ gung von Küchenvorräten. So hatte sich leicht zwischen Ignaz und der Zi¬ geunerin ein Liebesverhältnis gebildet Dem gutmütigen Burschen imponierte das stattliche Mädchen und die Zigen¬ nerin wußte sich etwas damit, außer ihren weiblichen Untertanen und Schutzbefohlenen noch einen männlichen Vasallen zu besitzen, den sie nicht für den Ungehorsamsten halten mußte, zu¬ gute zu tun. Die jungen Leute hatten einander versprochen, sich zu heiraten, wenn sie eine gewisse kleine Summe ins Reine gebracht hätten. Es war nämlich vor dreißig Jahren, als sich diese Begeben¬ heit zutrug, noch nicht so schwer, in diesem oder anderen böhmischen Bade¬ orten selbständig zu werden, als gegen¬ wärtig. Die meisten der jetzt wohl¬ habenden Hausbesitzer ersparten sich da¬ mals nach und nach ein paar hundert Gulden, mieteten eine Etage und ver¬ mieteten sie mit gutem Erfolg an sich Gäste. Denselben Weg hatten Ignaz und die Zigeunerin vorgezeich¬ net. Ihr Liebeshandel bestand wirklich weniger aus Liebe als aus Liebe zum Handel; er war das Kompagniegeschäft zweier Personen verschiedenen Ge¬ schlechts, die einander nötig haben, um besser durch die Welt zu kommen. Es war nicht schlecht ausgerechnet, daß der sanfte, in der Schule der Gast¬ hofshöflichkeit gebildete Ignaz den Verkehr mit den Gästen, die rührige und unermüdliche Zigennerin die Be¬ sorgung der häuslichen Angelegen¬ heiten übernehmen sollte. Darum drehte sich denn auch die Unterhaltung der beiden jungen Leute; die Spekula¬ tion füllte den engen Kreis ihrer Ge¬ danken. Der arme Mann pflegt mei¬ stens nicht von seinen Gefühlen zu reden. Der Eintritt Mariens unter den Blumenverkäuferinnen sollte eine Stö¬ rung in dem ruhigen Verhältnisse der beiden Leute hervorbringen. Das Blu¬ menmädchen von Eger (Ma¬ rie Holzinger mit Namen), mit diesem Titel war Marie schon von den Badegästen ehrend bezeichnet worden, denn von den übrigen war nie als Personen die Rede gewesen, hatte an derselben Stelle wie ihre Gefährtin¬ nen ein Unterkommen gesucht, aber sie war nicht mit gleicher Geringschätzung in das Hintergebäude verbannt wor¬ den. Die Frau vom Hause hatte sich ihrer angenommen und sie in die Nähe ihrer Person gezogen, um zu beobach¬ ten, ob sich das schöne, bei allen beliebte „ Mädchen nicht für feinere Dienst¬ leistungen eigne. Mit Freuden ergrif Marie die Gelegenheit, in allen Stun¬ den, welche ihr Geschäft freiließ, sich der Hausfrau nützlich zu machen. Sie hoffte, ihren Wunsch verwirklicht zu sehen, das Leben auf der Landstraße mit einer ruhigen Stellung zu vertau¬ schen. Hier lernte Ignaz Marie Hol¬ zinger kennen, und die Anmut und Bescheidenheit des Blumenmäd¬ chens von Eger machte auf den einfachen Bauernburschen denselben Eindruck, wie auf die jungen zierlichen Kavaliere und Elegants der Prome¬ nade. Ignaz suchte sich Marie gefällig zu erweisen, wo er sich ihr nähern konnte. Der scharfblickenden Zigeunerin ent¬ ging nicht die Veränderung in dem Betragen ihres Liebhabers. Der Eigen¬ nutz und die Liebe stammen aus einem Ei, wie die berühmten Schwestern der griechischen Mythe, beide besitzen den
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