Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1912

des Ortes sprach ein Gebet an der ech¬ Leiche, und die Witwe nebst ihrer ver¬ zehnjährigen Tochter saß abends lassen in dem düsteren Erdgeschoß des von ihnen bewohnten Hinterhauses. Der tiefe Schatten des alten Kirch¬ turms von Eger verdunkelte das Gemach, und wenn ihr Weinen leiser ward, hörte man den heiseren Pendel¬ schlag der alten Uhr, die ebenso erbar¬ mungslos wohl schon wichtigeren ge¬ □ 0 2 W schichtlichen Ereignissen der Stadt, als der Tod, eines Bauernschneiders war, ihre Minuten zugemessen hatte. „Was fangen wir nun an?“ sagte die Mutter, den Rosenkranz, den sie bisher in der Hand gehalten hatte, auf den Tisch legend und sich die Augen wischend. „Da nun der Vater tot ist, kann ich ja wie die andern ins Bad gehen. „Aber er hat es niemals gewollt, du weißt, mein Kind, daß er sich immer 23 heftig widersetzt hat, wenn die Rede davon war, daß du mit den anderen Mädchen ins Bad gehen und Blumen verkaufen solltest. Du weißt, daß er nie davon hören mochte und selbst Sr. Ehrwürden, der Herr Pfarrer, widersprach. So lange er lebe, sagte er immer, würde er nie seine Einwilli¬ gung geben. „So mag es um deinetwillen ge¬ zu schehen, Mutter, wir haben ja nichts 7 9S 8 leben und betteln steht uns nicht an; wir haben es nie getan, auch wenn das Brot noch so knapp war. „Lieber noch hier im Ort in einen Dienst gehen, als auf die Landstraße liebes Kind. „Und du, Mutter, wovon willst du leben? Laß mich Blumen ins Bad tra¬ gen, die Herrschaften zahlen für einen schönen Strauß an zwanzig Kreuzer, davon können wir reichlich zwei oder drei Tage leben, und wenn ich die

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