Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1912

kämet. Er wartet Euer!“ fuhr die Ge¬ schwätzige fort und steckte, rückte und zupfte noch dies und das an des Bräut¬ chens Anzug zurecht. „Ach, und der Bräutigam kann sich kaum fassen vor Ungeduld und geberdet sich schier wie besessen. Gerade wie mein Martin, seliger— daß Gott! Ach,“ setzte sie begeistert bei der bloßen Erinnerung an die Jugendzeit hinzu, „hat der's nicht getrieben, hat der nicht gescholten, als das Gespann schon vor der Pforte stand, das uns zur Kirche bringen sollte, und doch der Gürtel nicht schlie¬ ßen wollte, weil — ich muß lachen, wenn ich daran denke! — weil er mir beistehen wollte, und dabei zitterte vor Ungeduld und alles ungeschickt machte. Der gute, selige Mann! Daß Gott! Ja, wie die Zeit vergeht! „Jetzt bin ich fertig, Base! Wollen wir gehen?“ unterbrach Klara der drolligen Alten Redefluß und griff nach dem Bibelbuche, das aufgeschlagen auf dem Tische lag, und las andächtig: „Vater, nicht mein Wille geschehe, sondern der deine!" Da schoß der alten Base das helle Wasser in die gutmütigen Augen vor Rührung, und unter Tränen rief sie: „Das fromme Kind! Wie wenigge¬ chieht's doch in dieser argen Zeit, daß sich die Braut am Hochzeitsmorgen des Herrn der Heerscharen erinnert! Daß Gott!“ Und kaum, daß sie geweint, so lachte sie wieder und trocknete ihre Tränen mit der blütenweißen Schürze und „ kußte dasfromme,gottergebene Mühmchen mit dem gebrochenen Her¬ zen auf die Stirn. Da gewahrte sie die Perlenschnur in ihren Haaren. „Daß Gott!“ rief sie betreten aus und hinderte das Mädchen am Weiter¬ gehen, „Perlen in den Haaren? Weiße Perlen am Hochzeitstag? Was kommt dir bei, du unverständig Ding? Perlen bedeuten Tränen—daß Gott! Gleich herab mit den Perlen. Und eilig streckte sie die Hand aus, 11 den argen Schmuck zu entfernen. Klara aber verhinderte sie. „Perlen bedeuten Tränen? Wißt Ihr das gewiß, Base?“ fragte sie dann langsam und mit wehmütigem Lächeln. „Ob ich das weiß, närrisches Mäd¬ chen“, eiferte die Alte. „Wer soll's denn wissen? Daß Gott! Und gleich nimm die Schnur aus den Haaren. „Laßt sie nur immerhin, liebe Base!“ bat dagegen die Jungfrau weich, „laßt sie nur! Wenn ich weine, so denk' ich an Axel, und wenn ich an ihn denke, so bin ich glücklich, auch wenn Tränen dem Auge entquellen. Glaubt mir's nur immer, auch Tränen machen glücklich! „Du bist ein albernes Kind!“ schalt Frau Barbara fort, „denkst noch immer an den einfältigen Hauptmann, der doch — du hast's ja gehört vom Herrn Obersten viele tausendmal ein Bastard ist, und ein ungehorsamer Tor! Aber warum findest du denn kein Behagen an dem Herrn Obersten? Sahst du je vier prächtigere Hengste, als die vor dem Hause, die dich als¬ bald in die Kirche ziehen werden? Daß Gott! Hörst du sie wiehern und schnau¬ fen? Speckblank sind die mutigen Gäule, und das Geschirr starrt von Gold und Silber. Und der Bräutigam selbst— ist's nicht der stattlichste Mann, den du sahst? Wie soll die Bürgermeisters Anna das stolze Näs¬ chen rümpfen, wenn dich die Dänen¬ rosse vor ihres Vaters Hause vorüber¬ ziehen, und du neben dem stolzen, prächtigen Oberst mit der reich ge¬ stickten Schärpe— daß Gott! Das Herz im Leibe lacht einem, wenn man daran denkt!“ „Ach — Axel!“ seufzte Klara leise vor sich hin, und das feuchte Auge sah gedankenlos auf die roten Ziegel¬ quader, womit der Fußboden ge¬ pflastert war. „Bist du fertig, meine Tochter?“ fragte in diesem Augenblick Johannes Beyer, der Stadtrichter von Naum¬ burg, der zur Türe hereintrat, mit

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