Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1911

Siegbert Vor der Kirche erwartete der beiden ungeduldig das Erscheinen Ein frohes Lächeln überflog sein Gesicht, als die Erwarteten endlich kamen und stumm lüftete er zum Gruß die Pelzmütze Der Alte aber sah hinauf zum Sternenhimmel und darauf wieder über die schneebedeckten Häuser und Felder und atmete dann tief auf —jetzt erst schien der Alp auch von seiner Brust gewichen zu sein. Siegbert — du bist auch da, „Ah, sagte er jetzt zu dem Knappen und schien dessen Anwesenheit in Wirklichkeit erst jetzt zu bemerken, „das ist schön von dir daß du das neue Jahr fromm begangen hast — bist wohl zu Fuß hier?“ Ei, freilich, Herr Zeugwart,“ ent¬ gegnete Siegbert, erfreut über des Alten freundliche Ansprache und sandte Gertrud einen liebevollen Blick zu, „muß wohl zu Fuß gehen, den Ihr wißt es ja, der gnä¬ digste Herr Graf liebt es nicht, wenn man die Pferde zum Vergnügen herum¬ tummelt! Wollte Euch und Eurer Jungfer Gertrud nur gleich hier noch ein „glück¬ liches Neujahr“ sagen und mich dann heimwärts machen; ist verteufelt kalt da heraußen und hab auch tüchtig auszu¬ greifen, will ich noch vor Tagesanbruch heimkommen. „Hab Dank für den Wunsch, Freund Siegbert,“ sagte der Alte und schüttelte dem Knappen derb die Hand, „laß dir hiermit auch unserseits ein „glücklich Neujahr“ sagen — doch mit der Heim¬ kehr hat's ja wohl noch nicht so große Eile, he¬ Gertrud und Siegbert sahen den Alten überrascht an, doch dieser schob ruhig seine Hände in die Fäustlinge, schlug sich einigemale mit den Armen unter die Achseln, wie man zu tun pflegt, wenn man sich erwärmen will und meinte gut¬ launig: St. Georg und Johannes, was meintet Ihr jungen Leutchen dazu, wenn wir zum „Drachenwirt hinübergingen und uns einen Krug heißen Wein vergönnten: Nachher wollen wir schon sehen, daß der Siegbert noch ein Plätzchen auf meinem 103 Schlitten findet, der ebendort einge¬ stellt ist.“ Und der Zeugwart sah die jungen Leute so eigentümlich an, daß sie nicht wußten, wie sie dessen Aufgeräumtheit sich deuten sollten. Der Alte wartete aber keine Antwort ab, sondern schritt schon voraus, der nahen Schenke zu. Dort herrschte ein gar reges Leben und ust die noch vor kurzem die wankel¬ mütigsten waren und am verzweifeltesten, —Lust und waren jetzt die Lustigsten Leid wechseln eben gar rasch im Menschen¬ leben. Der Zeugwart fand bald noch ein Plätzchen für sich und die seinen — und der Wirt war flink mit einem Humpen Wein und etwas Rauchfleisch da, was man sich schmecken ließ. „Na, Alter, du machst ja ein bitter¬ böses Gesicht,“ sagte Konrad während des Essens zum Wirte, „was ist denn los?“ „Ein neues Jahr ist da und nichts im Haus“ erwiderte der Wirt brummig und kraute sich verlegen am Kopfe. „Hoho, lachte Konrad, „da sieh dich nur um, wie deine Gäste zehren, ich möcht schier vermeinen, du bringst es heuer noch zu einem neuen Wams! Der Wirt sah unwillkürlich auf sein etwas settiges, stark verschlissenes Wams herab, zupfte einige vorwitzig vorstehende Fäden heraus und meinte: „Heuer nimmer, Freund, denn ich hab nichts mehr,“ und als er des Zeug¬ warts fragenden Blick gewahrte, setzte er erklärend hinzu: „Ist alles verschenkt, Haus und Hof, alles gehört der Kirche! „Aha, nickte der Zeugwart verständ¬ nisvoll, „hast auch Angst gehabt von dem Weltende, du alter Sünder im Weinvertraken — na, nur den Kopf hoch, der Pfarrer hat nach dem Te Deum in der Kirche erklärt, daß er nicht das mindeste von dem der Kirche Geschenkten behalten mag und alles zurückstellt! Du konntest das natürlich nicht hören, denn deine Kirche ist dein Weinkeller und ich gönne dir herzhaft das bischen Angst doch jetzt her mit dem heißen Wein und

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