Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1911

98 sicher. Wohl gab es einige, welche darüber potteten, allein sie mußten verstummen in einer Zeit, wo herzinnige Religiösität ich mit grassem Aberglauben verwob und sich die Menschen noch mehr wie heute mit überirdischen Gewalten jene Vorfälle auf der Erde zu erklären suchten, die sie nicht verstanden und so ist es verständ¬ lich, daß der Gedanke des Weltunter¬ ganges von Hoch und Nieder, von Arm und Reich sofort aufgegriffen und lebhaft erörtert wurde. Die Geistlichkeit suchte gegen diese Prophezeiung, die sich zu einem wahren Irrglauben herauswuchs, anzukämpfen, allein das ging nicht so leicht, den mit Vernunftgründen kann man wohl einem gebildeten Menschen kommen und gab es doch selbst in den Reihen der Priester genug, die fest an das Eintreffen der Prophezeiung glaubten. „Der Kaiser selber tut Buße“, hieß es und das war immer das Ende einer Auseinandersetzung zwischen den Leuten und es entwickelte sich nun ein merkwür¬ diges Zeitbild. Die gläubige und auch die weniger gläubige Menschheit fand plötz¬ lich, daß sie sehr sündhaft und bußbedürf¬ tig sei und die Angst vor dem ungewissen Schicksal hieß Asche auf das Haupt streuen, gute Werke tun, daher Ablässe erwirkt, Wallfahrten getan und Schen¬ kungen gemacht wurden, ohne zu bedenken, daß im Falle des Weltunterganges den Beschenkten das Geschenkte auch nichts mehr nutzen konnte, ja die Verzagtesten gingen in die Klöster, ließen sich als Laien aufnehmen und fanden da einigen Trost im Gebet und Seelenstärkung in einem heilig=mäßigen Leben. In Stadt Steyr war das nicht an¬ ders, auch hier hatte sich das Weltunter¬ gangsfieber des größten Teiles der nicht sehr zahlreichen Einwohnerschaft bemäch¬ tigt und besorgt und gedrückt schlichen die Leute mehr umher als sie gingen, jede fröhliche Regung fehlte und in den Hammer= Zweck=, Zeug= und sonstigen Schmieden ertönte kein fröhliches Lachen mehr und mürrisch schürten die strammen, starken Gesellen die Feuer. Steyr war um das Jahr 1000 n. Chr. nicht groß: die Burg, Styra¬ purkh genannt, etliche hundert Hütten auf den Hängen herum, meist aus Holz gebaut und einige Häuser von der heutigen „Enge“ die Enns aufwärts und draußen an der Steyr die „Hämmer“ bildeten den Ort, der dem Grafen Ottokar IV. vom Traungau als Residenz diente. Wenn seine jährlichen Kriegsfahrten im Herbst geendet hatten und er von den Mühen und Strapazen des Waffenhand¬ werkes ausruhen wollte, dann bezog er wieder seine Burg und seine edelsten Dienstmannen die Häuser da herum und es wurde „Hof“ gehalten. Auch droben in der Ottokarenburg wurde oft davon gesprochen, was wohl das Ende des Jahres 1000 bringen werde, denn für Ende Dezember war etwas zu erwarten und die fromme Gräfin Adelheid war auch heute nicht ganz einverstanden, als ihr Gemahl, der etwas rauhe Ottokar IV. zu den mit ihm an den langen Winter¬ abenden dem Becher zusprechenden Herren seines Gefolges leichthin sagte: „Was, Weltende, wir haben nichts getan, um es heraufzubeschwören, lassen wir es eben ruhig herankommen und sorgen wir uns lieber darum, was der Tag uns bringt und von uns heischt! Gott hilft dann weiter! Gräfin Adelheid, die an solchen Abenden mit einigen ihrer Frauen in einer Saalecke saß und lustig das Spinn¬ rad surren ließ, schlug fromm ein Kreuz — und sagte zu ihren Frauen: „Ja Gott hilft weiter!“ und auch die Frauen murmelten jetzt still diesen Segenspruch, besonders die eine, die junge, schmucke Gertrude, des Schloßzeugwarts Konrad ehrbares Töchterlein, die ob ihres Fleißes und ihrer Bescheidenheit bei der Gräfin besonders in Gunst stand. Gertrudens „Gott hilft weiter!“ galt freilich noch einem anderen Herzens¬ wunsche und errötend dachte sie jetzt gerade wieder daran, ob —ei, na an was dächte ein junges Mädchen, dem 1 Sohn des 991 (993?) gestorbenen Ottokar III Graf Oltokar IV. starb zu Rom am 3. März 1038.

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